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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith W. Taschler
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Altstadt und den Inn, mir hat Innsbruck sofort gut gefallen. Ich habe mir gedacht, hier könnte ich schon leben. Damals haben wir uns auch einen Stadtplan gekauft.
    Ich bin also durch die Straßen marschiert und habe mir alles angeschaut, weil ich auf den Bus nach Axams warten habe müssen. Es ist im Juni gewesen. Die ganze Zeit ist da so ein Freiheitsgefühl in mir gewesen und glücklich habe ich mich gefühlt, ich weiß auch nicht wieso, es hat mir so gut gefallen, dass es viele Häuser und viele Menschen gibt und dass niemand weiß, wer ich bin. Ja, richtig, die Anonymität hat mir gefallen.
    Aber mit der Zeit ist mir aufgefallen, dass mich die Leute so komisch anschauen oder ich habe mir
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eingebildet, dass mich die Leute so komisch anschauen. Ich habe an mir runtergeschaut und gesehen, dass ich eine viel zu kurze Hose anhabe. Ich bin mir plötzlich seltsam vorgekommen, wie ein Außerirdischer, der hier nichts verloren hat. Alles ist mir so – so unwirklich vorgekommen.
    Ich habe mich in ein Café gesetzt und ein Cola bestellt, und vor lauter Nervössein habe ich das Glas umgeschmissen. Meine Hose ist klatschnass gewesen und da sind Mädchen am Nebentisch gesessen, die haben so gelacht. Ich wäre am liebsten in den Erdboden versunken.
    Mit dem Bus bin ich nach Axams gefahren und habe das Landeskinderheim auch gleich gefunden. Die Mutter hat mir die Adresse verraten, ohne dass es der Vater wissen hat dürfen. Ich wollte die Wohnadresse meiner Mutter rausfinden, ich habe gedacht, dort, wo sie gewohnt hat, gibt es vielleicht noch Sachen von ihr, die mir einen Hinweis geben, wohin sie ausgewandert ist. Ich habe an ein Tagebuch oder an Prospekte gedacht, ja, so leicht habe ich mir das vorgestellt.
    Ich habe mich überwinden müssen, da hineinzugehen und zu sagen, wer ich bin und was ich will. Fast wäre ich umgekehrt und zurück nach Innsbruck gefahren und zur Martina ins Studentenheim gegangen. Eine Frau ist im Büro gesessen und hat mich nach meinem Namen gefragt und was ich will.
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Wie ich ganz schnell gesagt habe, ich will nur die Innsbrucker Wohnadresse von meiner richtigen Mutter Paulina Sommer wissen, die im Mai 1973 verschwunden ist, hat sie sich eine Zigarette angezündet und mich eine Weile angeschaut. Ich erinnere mich an dich, hat sie gesagt, habe ein paar Wochen bevor du eingetroffen bist mein Praktikum hier angefangen, bist so ein kleiner Stöpsel gewesen, der nur geweint hat. Du bist zu Pflegeeltern auf einen großen Bauernhof in Sölden gekommen, nicht wahr?
    Sie ist stolz auf ihr gutes Gedächtnis gewesen und ich bin froh gewesen, dass sie es gehabt hat. Zuerst hat sie gesagt, dass sie mir keine Auskunft geben darf ohne die Erlaubnis des Jugendamts, aber dann hat sie gesagt: Was soll’s? Viel kann ich dir sowieso nicht sagen. Im Nebenraum hat sie die Kartei ausgegraben und mir ein paar Dinge gesagt.
    Ich habe erfahren, dass Paulina, ich meine, meine Mutter, am 15. Mai 1950 in Steinach am Brenner geboren wurde, dass sie ihre Eltern früh verloren hat und eine Zeit lang in Italien gelebt hat. In Innsbruck hat sie als Zimmermädchen in einem Hotel gearbeitet und am Fürstenweg gewohnt, in einem einzigen großen Raum, über einer Autowerkstatt ist der gewesen. Die Frau hat mir die Adresse aufgeschrieben. Das weiß ich so genau, hat sie gesagt, weil sie mich geschickt haben, ein paar Sachen von dir zu holen.
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Mehr hat sie von meiner Mutter nicht gewusst. Aber sie hat nicht mehr aufgehört mich vollzuqualmen und mich auszufragen, nach meinem Leben, was ich so mache, nach meinen Pflegeeltern, wie es ihnen geht und so weiter. Ich habe dann einfach gesagt, dass ich mit meiner Schwester etwas ausgemacht habe und dass ich gehen muss.
    Beim Verabschieden ist ihr dann noch was eingefallen und sie hat gesagt: Geh doch zur Sicherheitsdirektion und frag nach dem Polizisten, wie hat der noch mal geheißen, ach ja, Angermair, von der Fahndung ist der gewesen, der hat dich hier manchmal besucht. Der kann dir sicher mehr über deine Mutter erzählen.
    Im Bus runter nach Innsbruck habe ich überlegt, ob ich nicht gleich zur Sicherheitsdirektion gehe und nach dem Polizisten frage, weil ein Mensch mir sicher mehr sagen kann als eine Wohnung. Aber ich habe gewusst, dass ich mich sowieso nicht reingehen traue.
    Ich bin also bis zum Fürstenweg gegangen, immer mit dem Stadtplan in der Hand, und habe das Haus gesucht. Ich habe gedacht, wenn ich vor dem Haus stehe, werde ich mich sicher dran erinnern, ich habe

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