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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith W. Taschler
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An die Sommer, an die erinnere ich mich gut! Von der der Bub bist du? Suchst sie, ha? Die
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ist ja abgehauen damals, die Hur! Mit jedem hat’s die getrieben, mit jedem! Und jetzt schau, dass du verschwindest, und lass dich nie wieder blicken!
    Ich bin ganz schnell auf die Straße gelaufen und die Sonne hat mich geblendet. Mir ist so schlecht gewesen, so furchtbar schlecht, und ich hätte fast den Busbahnhof nicht gefunden. Dann im Bus habe ich nur vor mich hin geflennt und aufgepasst, dass es niemand merkt, und ich bin total fertig gewesen.
    Über mich habe ich nur lachen können, weil ich sie mir jahrelang als die zarte Künstlerin vorgestellt hab. Und ich habe tagelang an nichts anderes denken können als an den Satz: Mit jedem hat’s die getrieben, mit jedem.

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Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer
    Ein Jahr lang habe ich gebraucht, dass ich das verdaut habe! Ein Jahr lang habe ich mich gezwungen, dass ich nicht an meine Mutter denke, weil wenn ich an sie gedacht habe, habe ich sie mir mit Männern vorgestellt, und das habe ich fast nicht ausgehalten.
    Ich habe mir gesagt, dass es mir ja gut geht, dass ich eine Familie habe, und vor allem habe ich drauf gewartet, dass ich neunzehn werde und in die Stadt ziehen kann. Ich habe mich so drauf gefreut und Pläne geschmiedet und von meiner Freiheit habe ich geträumt. Im Gastgewerbe wollte ich auf keinen Fall arbeiten.
    Aber ganz hat’s mich doch nicht losgelassen und ich habe dann gewusst, ich muss sie finden, egal, was jemand über sie sagt! Ich muss sie wenigstens einmal in meinem Leben sehen und aus ihrem Mund hören, wieso sie gegangen ist und mich zurückgelassen hat, ich muss ihre Gründe kennen! Es ist wie ein Zwang geworden in mir.
    Ich bin also wieder nach Innsbruck gefahren, genau ein Jahr drauf. Mit dem Polizisten Angermair, von dem die Frau in Axams erzählt hat, wollte ich
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reden. Die Sicherheitsdirektion in der Kaiserjägerstraße habe ich bald gefunden, aber dann habe ich mich nicht hineingetraut. Eine halbe Stunde lang bin ich beim Eingang so rumgestanden, bis ein junger Polizist rausgekommen ist und mich gefragt hat, ob ich was brauche.
    Da habe ich gesagt, dass ich den Herrn Angermair von der Fahndung suche, weil ich mit ihm reden muss. Er hat gesagt, dass der Herr Angermair schon in Pension gegangen ist, und worum’s denn geht. Ich habe rumgestottert, dass ich mit ihm über meine Mutter reden will, die im Mai 1973 verschwunden ist. Er hat mich so komisch angeschaut und nach meinem Namen und dem Namen meiner Mutter gefragt.
    Ich telefoniere mal mit ihm und komme gleich wieder, hat er gesagt und ist verschwunden. Mir ist vorgekommen, dass er eine Ewigkeit weg ist. Aber wie er wiedergekommen ist, ist er recht freundlich gewesen und er hat gesagt: Na komm, ich bringe dich hin, er freut sich auf dich. Ich weiß noch, dass ich total erstaunt gewesen bin, weil jemand, den ich nicht kenne, so freundlich zu mir war.
    Der Polizist hat mich dann in einem Streifenwagen zum Haus vom Herrn Angermair gebracht. Er hat Späße gemacht und mich gefragt, ob er das Blaulicht einschalten soll, aber ich habe nein gesagt, das wäre mir peinlich gewesen.
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Eine halbe Stunde später bin ich mit dem Angermair und seiner Frau beim Mittagessen gesessen. Es hat Kaiserschmarrn mit Apfelmus gegeben und es ist der beste Kaiserschmarrn gewesen, den ich je gegessen habe. Wir sind zu dritt in der winzigen Küche gesessen und haben miteinander gegessen und sie haben mit mir so nett geredet, als wäre ich ihr Enkel oder Neffe. Es ist wirklich gemütlich gewesen und ich habe mich wohlgefühlt, die Küche ist alt gewesen, aber so sauber, und das Radio ist leise gelaufen, Ö1 war’s, glaube ich, zumindest ist es klassische Musik gewesen, das war echt schön. Es hat mir so gut gefallen, weil die zwei so – so liebevoll miteinander geredet haben, der Angermair hat seine Frau von hinten umarmt und zu ihr gesagt: Danke für den guten Schmarrn, mein Schatz. So was war ich gar nicht gewohnt.
    Nachher sind der Angermair und ich allein im Wohnzimmer gesessen und er hat mit mir über meine Mutter geredet. Vor sich hat er den Akt liegen gehabt, er hat gesagt, den hat er sich damals kopiert und mit heim genommen und jetzt wieder im Keller ausgegraben.
    Zuerst habe ich ihm ein bisschen von mir erzählt, auch dass ich vor einem Jahr in der Wohnung meiner Mutter gewesen bin und was der alte Mann zu mir gesagt hat. Ich habe den Angermair gefragt, ob meine

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