Sommerfrische – Verbotene Kuesse im Mondschein
den Earl of Ashwick an und erkundigte sich leichthin: “Und was gedenken Sie zu unternehmen, um sich die Zeit zu vertreiben?”
“Ich habe eine Menge geschäftlicher Dinge zu erledigen”, antwortete er, vernahm im gleichen Moment Lady Wycherleys helles Lachen und beschloss, sie näher kennenzulernen.
“Du meine Güte, wie anödend!”, erwiderte Margot abfällig.
“Ganz im Gegenteil!”, widersprach Adam lächelnd. “Ich rechne ganz fest damit, dass ich viele interessante Augenblicke erleben werde.”
Karten für das Ballett waren schwer zu bekommen. Charles war es erst nach Tagen gelungen, für die in zwei Wochen stattfindende Donnerstagsvorstellung eine Loge im Theatre Royal zu buchen. Er besuchte die Aufführung mit seiner Schwester, deren Mann, seiner Cousine und deren Schützlingen, die sich seit ihrer Ankunft begeistert ins gesellschaftliche Leben der Stadt gestürzt hatten.
Nachdem der Vorhang am Ende des ersten Aktes gefallen und Beifall aufgebrandet war, äußerte Annis begeistert: “Bisher war das wunderbar, nicht wahr, Sibella?”
Sibella nickte und erwiderte mit einem Blick auf Mann und Bruder: “Ja, aber ich habe gehört, dass Miss Mardyn auf einem ganz anderen Gebiet noch begabter sein soll.”
Annis schmunzelte. Miss Mardyn war zwar keine besonders talentierte Tänzerin, bekam indes viel Applaus, vornehmlich von den Herren im Zuschauerraum. Eine Künstlerin, die sich wie sie derart lasziv und aufreizend auf der Bühne bewegte, war noch nie in Harrogate aufgetreten, und unwillkürlich fragte sich Annis, ob die Aufführung für ihre beiden Schützlinge geeignet sei. “Möchten Sie sich in der Pause die Beine vertreten, Miss Fanny, Miss Lucy?”, erkundigte sie sich freundlich.
“Nein, vielen Dank, Madam”, antwortete Fanny und schüttelte den Kopf. “Meine Schwester und ich sind hier gut aufgehoben.”
Miss Lucy kicherte verhalten. Annis war klar, dass die beiden jungen Damen in der Loge bleiben wollten, um all die attraktiven Herren im Auditorium zu beobachten, die sich nicht in die Foyers begaben.
“Sieh dir diesen seltsamen Menschen an, Lucy”, fuhr Fanny fort und wies mit dem zusammengeklappten Fächer ins Parterre. “Er ist furchtbar dürr und hat obendrein eine lange, spitze Nase!”
Annis ärgerte sich erneut über Miss Fannys schlechte Manieren. In den vergangenen zwei Wochen hatte sie versucht, dem Mädchen etwas Schliff beizubringen, mittlerweile jedoch eingesehen, dass ihre Bemühungen vergebens sein würden. Miss Fanny war nicht gewillt, sich Belehrungen anzuhören und gute Ratschläge zu befolgen. Im Gegenteil, jedes Mal, wenn man ihr Vorhaltungen machte, führte sie sich noch schlimmer auf. Sie war wie ein verzogenes kleines Kind, das ständig seinen Willen haben musste. Annis hatte resigniert und sich vorgenommen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, was ihr durch das ihr von Sir Robert gezahlte Honorar etwas versüßt wurde. Manchmal fühlte sie sich jedoch versucht, Miss Fanny zu packen und zu schütteln. “Das ist der Marquess of Midlothian”, erklärte sie, “der hohes Ansehen genießt.”
“Midlothian?”, wiederholte Fanny fragend. “Ist das ein irischer Titel? Wie man mir berichtete, soll der irische Adel ein ziemlich wüster Haufen sein.”
“Erstens stimmt das nicht, und zweitens handelt es sich um einen schottischen Titel”, erwiderte Annis kühl.
“Na, wenn schon”, äußerte Fanny frech. “Macht das einen Unterschied? Oh, Lucy, schau mal nach links. Siehst du die fürchterlich dicke Person in dem auffallend schillernden rot-gelb gestreiften Kleid? Ist sie nicht grässlich angezogen? Wie kann man eine violette Bayadère dazu tragen?”
Annis begriff sofort, dass die Kritik gegen sie gerichtet war, da auch sie einen Spitzenschal in dieser Farbe umgelegt hatte.
Vor Verlegenheit wurde Lucy rot und warf Lady Wycherley einen gequälten Blick zu.
Aufmunternd lächelte Annis sie an. Es bedurfte einer größeren Gemeinheit, um sie aus der Fassung zu bringen.
“Auch Lord Ashwick und seine Angehörigen sind heute in der Vorstellung”, raunte Sibella ihr zu. “Im letzten Jahr war er zwar die meiste Zeit in London, doch seine Verwandten hielten sich in Eynhallow auf und sind wiederholt in die Stadt gekommen. Das war eine für mich sehr unangenehme Situation, denn hier bleibt niemandem etwas verborgen. Mit anderen Worten, alle Leute wissen von den Auseinandersetzungen zwischen Mr. Ingram, Charles und Seiner Lordschaft. Wenn ich seiner Mutter
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