Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
empfunden, den diese Datsche offensichtlich vermissen ließ – und der mit dem Erwerb eines standesgemäßen Landhauses zu einem späteren Zeitpunkt zu realisieren war.
Während der gesamten Zechliner Zeit kam keiner von uns so recht dahinter, wofür die Menschheit Explosionsfilteranlagen brauchte. Und doch waren wir der Welt dankbar, dass sie diese Technologie so intensiv nachfragte, hatte das Explosionsfiltergeschäft unseren Vermieter doch in den Stand versetzt, sich dieses kleine Ferienhaus herzurichten. Immerhin hatte Jünemann die alte DDR -Datsche so aufgemotzt, dass die Nachbarn nur noch vom »Chefbungalow« sprachen, wenn sie unser Haus meinten – sie hatten den Chefbungalow noch nicht von innen gesehen.
Als Nachfolger im Familienunternehmen erbte Markus Jünemann Mitte der Neunzigerjahre das ganze, mehrere Fußballfelder große Areal, auf dem sich neben anderen Datschen auch unser Kleinod befand. Es handelte sich um das Feriengelände des volkseigenen Betriebs »Pumpenwerke Dessau«, den sein Vater nach der Wende mit seinem kerngesunden westdeutschen Unternehmen geschluckt und verdaut hatte. Als Anreiz dafür, dass Jünemann junior sich um das Gelände kümmerte, überließ ihm der Senior diese Datsche in Premiumlage: ein paar Meter oberhalb eines Bilderbuchsees und genau in der richtigen Entfernung von allen Mücken und den ebenso lästigen Tagesbesuchern an den öffentlichen Badestellen – sozusagen auf der Beletage des Geländes. Jünemann baute die Datsche mit einigen Saufkumpanen, die sich an irgendeiner technischen Hochschule mit verheerendem Männerüberschuss zusammengerottet hatten, zu seinem »Sahnestückchen« um. Das Wort »Sahnestückchen« hatte für ihn indes weniger etwas mit ästhetischen Kriterien zu tun als mit seinen uninspirierten Erwartungen an Ferienhausarchitektur. Jünemann wollte es offenbar wieder so kuschelig haben wie in den Dänemark-Urlauben seiner Jugend. Als wir die Datsche das erste Mal betraten, wähnten wir uns in einem Ferienhauskatalog von Dr. Tigges.
Denn Jünemann hatte diesem ehemaligen VEB -Ferienbungalow, aus dessen Substanz man mit einem Händchen für kritische Rekonstruktion durchaus einen gewissen DDR -Retroreiz hätte herauskitzeln können, gleichsam den Holzvertäfelungstod beschert. Alle drei Zimmer und die Küche des Bungalows bestanden ausnahmslos aus Holz, nicht einmal bei den Lichtschaltern wich Jünemann auch nur einen Zentimeter von seinem innenarchitektonischen Holzweg ab. Die verbliebene Restästhetik hatte er in Grund und Boden gekachelt. Und doch: Als die letzte Spax-Schraube versenkt, die letzte Fliese verfugt war, sollte Jünemann feststellen, dass er damit bei seiner Frau nicht landen konnte. Nachdem die Unternehmergattin das Gelände in ihren Prada-Schläppchen zum ersten Mal betreten und angesichts der Bauschuttberge das Näschen gerümpft hatte, suchte Jünemann dringend Mieter. So erzählt es jedenfalls die Legende, die die Nachbarn schmiedeten.
Uns war erst mal egal, wie das verschlimmbesserte Sahnestückchen von innen aussah, wir brauchten eigentlich nur ein paar Betten, in die wir uns nach durchzechter Nacht ablegen konnten. Ein Dach über dem Kopf. Die Bodenfliesen wurden mit den Perserteppichen von Fabians verstorbener Großtante überdeckt. Die Teppiche wiederum verschwanden meistens unter einer Schicht Matratzen, da die Betten der zwei Schlafzimmer bei Weitem nicht ausreichten, wenn alle zwölf Mitmieter und womöglich noch ein paar Freunde gleichzeitig vor Ort waren. An solchen Wochenenden sah es in der Datsche aus wie in einer zum Schlafsaal umfunktionierten Turnhalle beim ökumenischen Kirchentag. Doch uns ging es sowieso nur um die Terrasse und den See, den man durch die großen Panoramafenster immer im Blick hatte. Der Kamin und diese Fenster waren das Beste, was Jünemann dieser Datsche angetan hatte.
Noch schöner war aber, dass dieses Anwesen – von ein wenig Rasenmähen abgesehen – kaum Arbeit machte. Das Einzige, was hier permanent arbeitete, war Jünemanns Holzbungalow, in dessen Gebälk es unentwegt knackte. Eine Geräuschkulisse, die uns schon bald auf Tiefenentspannung konditioniert hatte und unmittelbar nach dem Aufschließen der Hütte den Alltag vergessen ließ. Für Konrad hingegen muss das Knacken die ständige Mahnung gewesen sein, dass es das ja wohl noch nicht gewesen sein konnte. Nun, im Frühling nach unserer Vertreibung aus dem DDR -Datschenparadies, wurden seine Instinkte wieder geweckt. Er sah die
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