Sommerhaus mit Swimmingpool
daran, dass es geschehen würde.
Wenn sie in diesem Moment zu mir hergesehen hätte, hätten wir beide Bescheid gewusst. Das hätte mir gereicht.
Aber sie tat es nicht. Sie kicherte nur und spornte Stanley an weiterzuklicken.
»Da!«, rief Lisa. »Da ist ja der Esel!«
Wir sahen sie an.
»Der Esel vom Campingplatz! Der arme Esel, Papa!«
Ich beugte mich vor. In der Tat war ein Esel zu sehen, der den Kopf über einen Holzzaun streckt.
»Du hast ihn wahrscheinlich in dem kleinen Zoo gesehen«, sagte Stanley. »Da hast du doch das Vögelchen hingebracht. Mit deinem Papa.«
»Aber da war der Esel noch nicht da!«, sagte Lisa.
»Woher weißt du denn, dass es derselbe Esel ist?«, fragte ich schnell.
»Das sieht man doch!«, sagte Lisa. »Es war auch ein Lama da. Hast du auch von dem Lama Fotos gemacht, Stanley?«
Stanley legte den Arm um meine Tochter.
»Ein Lama habe ich dort nicht fotografiert, Liebling«, sagte er. »Aber wenn du es sagst, war da bestimmt auch ein Lama.«
»Papa, kommst du auch ins Wasser?«
Ich öffnete die Augen. Julia setzte gerade einen Fuß auf das Sprungbrett. Da ich in die Sonne schaute, konnte ich ihr Gesicht nicht gut erkennen.
»Okay«, sagte ich.
Stanley hatte ziemlich viele Fotos von ihr gemacht. Im Garten. Am Strand. Morgen stand ein offizielles Shooting auf dem Programm. Mit einer Garderobiere und einem Visagisten. Es sei noch nichts Festes ausgemacht, so Stanley, es gebe aber wirklich viel Interesse. Er nannte die Namen einiger großer Mode- und Filmzeitschriften. Auch von Lisa machte er Fotos.
»Wie alt bist du jetzt?«, fragte er. »Zwölf? Sehr gut. Vielleicht musst du noch ein klein bisschen warten, aber es kann auch sein, dass plötzlich eine Zeitschrift genau jemanden wie dich sucht.«
Seit unserer Ankunft in Amerika hatte ich so wenig wie möglich an den Klempner gedacht. Und wenn, dann nicht als einen Menschen, sondern als ein Lebewesen aus der Familie der Miesmuscheln. Julia war inzwischen in der Mitte des Sprungbretts angelangt. Wieder bemühte ich mich, nicht an den Klempner zu denken. Mit Erfolg. Ich lächelte meiner Tochter zu.
»Papa, komm schon.«
Ich machte Anstalten aufzustehen, ließ mich aber wieder zurücksinken. Ich wartete, bis sie ganz vorne angekommen war.
Sie wandte mir ihr Gesicht zu. Der richtige Augenblick war endgültig vorbei, damit musste ich mich abfinden, er gehörte der Vergangenheit an. Meine Tochter auf dem Sprungbrett; das war die Zukunft.
Wir sahen einander an. Erst sah ich in ihr das Mädchen. Dann sah ich in ihr die Frau. Dann stieß sie sich ab.
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Das Buch
Diesem Hausarzt ist nichts heilig, auch nicht seine Familie – der neue Roman von Herman Koch
Marc Schlosser ist Hausarzt in Amsterdam. Als einer seiner Patienten, der berühmte Schauspieler Ralph Meier, stirbt, muss er sich wegen eines möglichen Kunstfehlers vor der Ärztekammer verantworten. Doch war es wirklich ein Kunstfehler? Oder hat das alles vielleicht mit den Geschehnissen im Ferienhaus zu tun, in dem beide Familien den letzten Sommer verbrachten?
Zwei heranwachsende Töchter hat Marc Schlosser, Lisa und Julia. Und eine attraktive Frau, Caroline. Als sein Patient Ralph Meier, selbst verheiratet und Vater zweier jugendlicher Söhne, ihn und seine Familie einlädt, sie im Sommer ein paar Tage in ihrem Ferienhaus in Frankreich zu besuchen, klingt das zunächst wie eine gute Idee. Erst jetzt, nach Ralphs Tod, anderthalb Jahre nach den gemeinsamen Urlaubstagen, treten die Verwerfungen zwischen den beiden Familien allmählich zutage, und der Leser fiebert atemlos jeder weiteren Enthüllung entgegen.
»Sommerhaus mit Swimmingpool« ist ein hoch spannendes, meisterlich konstruiertes Familiendrama, in dem Vaterinstinkte, sexuelle Macht und Heuchelei eine große Rolle spielen. Mit scharfem Witz und genialer Beobachtungsgabe legt Koch gesellschaftliche und familiäre Risse bloß und erschafft mit Marc Schlosser den wohl abgründigsten Hausarzt der jüngeren Literatur.
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Der Autor
Herman Koch , geboren 1953, ist Kolumnist, Komiker, Fernsehmacher und Romancier. Seit 1989 veröffentlichte er in den Niederlanden sechs hoch gelobte Romane. »Angerichtet« stand monatelang an der Spitze der niederländischen Bestsellerliste und war 2009 einer der meistverkauften Romane europaweit (Platz 7 der europäischen Jahresbestsellerliste). »Angerichtet« gewann den niederländischen Publikumspreis für »Das beste Buch des Jahres 2009«, ist in 14 Ländern
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