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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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stellte für mich die Quelle für eine ganze Flut von Neuigkeiten dar, vor allem aber lernte ich durch sie, einen Geruch einzuordnen, den ich schon als kleiner Junge ein bis zwei Mal pro Woche an meinen Eltern, an ihnen später dann aber irgendwann immer seltener, wahrgenommen hatte und den ich jetzt vermisste, als ich neben meiner Mutter im Bett lag, ihrem gleichmäßigen Atem zuhörte und ihren Duft atmete, der neuerdings von »Lux«-Seife und einem viel zu intensiven Parfüm dominiert wurde, das Tante Gisela ihr lieh, das nicht zu Mama passte und »Tosca« hieß. Ich nahm an, dass ich ihn nie wieder an ihr bemerken würde, diesen eigenartigen Geruch, denn der Mann fehlte, mit dem sie ihn zusammen erzeugen konnte – mein Vater.
    Es war der Geruch von Sex.

Reiseerlaubnis (1980)
     
    Die Aufregung war groß, als Papa uns mitteilte, dass wir im Sommer an den Plattensee nach Ungarn fahren würden. Ich wusste damals noch nicht, warum, aber die Bemühungen meiner Eltern, für uns einen Urlaub außerhalb der Grenzen der DDR zu organisieren, waren bisher regelmäßig gescheitert. Umso überraschter waren alle, als es uns plötzlich gestattet wurde, und ich war so glücklich darüber, ins Ausland zu fahren und die geheimnisumwitterten Westler, von denen es dort viele geben sollte, endlich zu treffen, dass ich kaum bemerkte, wie sich die Stimmung zu Hause plötzlich grundlegend änderte.
    Mein Vater war ein Mann, der immerfort gute Laune zu haben schien, auch wenn er sich anschickte, zum Konsum zu gehen und stundenlang für etwas anzustehen, das wir eigentlich nicht brauchten, das wir aber später vielleicht gegen etwas würden tauschen können, bei dem das galt. Mein Vater, der Klaus-Peter hieß und von Mama Klausi genannt wurde, hasste es, irgendwo anzustehen. Er versuchte, seine Ablehnung mit Humor zu kaschieren, sagte etwas wie: »Und wieder verschenkt ein Mann, der die Welt ändern könnte, Stunden damit, auf Stearinkerzen zu warten«, wobei er so ähnlich lächelte wie in Momenten, in denen aus dem Wohnzimmer die Melodie zum Sandmännchen erklang, aber wir alle wussten, wie schwer es ihm fiel. Doch Sonja und ich mussten zur Schule, Mamas Schichten begannen schon früh am Morgen, und deshalb traf es ihn immer wieder.
    Er war sehr groß, vielleicht sogar der größte Mensch, den ich kannte, und hatte die gleichen hell-, fast weißblondenHaare wie ich, nur seine blauen Augen waren etwas dunkler als meine. Und im Gegensatz zu mir war er recht schlank, eigentlich sogar sehr dünn. An seinen Unterarmen war der Verlauf der Adern gut zu erkennen, und auf seinem schmalen, auch im Spätsommer selten mehr als leicht geröteten Brustkorb wirkten die dunklen, von feinen Haarkränzen umgebenen Brustwarzen wie zwei vermatschte Pfützen auf einem schneebedeckten Waldweg. Meine Mama war zwanzig Zentimeter kleiner als er, aber wenn die beiden nebeneinanderstanden, sah sie, die auch meine Klassenkameraden als hübsch bezeichneten, auf seltsame Weise trotzdem größer aus. Mama, die Luise hieß, hatte schulterlange, tiefschwarze Haare und wunderschöne, sehr fröhliche blaue Augen, die so wasserhell leuchteten wie meine. Selbst im orangebraunen Dederon-Hauskleid sah sie eleganter aus als alle Menschen, die ich sonst kannte. »Aber meine Sonja«, sagte sie verschämt lächelnd, wenn sie auf ihr gutes Aussehen angesprochen wurde, was häufig geschah, »aber meine Sonja, die wird irgendwann noch viel, viel schöner sein.«
    Die Nachricht über unser Sommerferienziel kam im Januar. Es dauerte bis zum Mai, meine Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass sich etwas geändert hatte. Es fühlte sich an, als würden wir nicht nur verreisen, endlich in ein fremdes Land, in dem man eine seltsame Sprache benutzte und viel längere, viel wärmere Sommer hatte, sondern umziehen. Papa stellte sich in diesen Monaten kaum noch irgendwo an, dafür bekamen wir sehr viel mehr Besuch als früher, besonders von Jürgen, einem alten Freund meines Vaters aus dessen NVA-Zeit, der im Spreewald einen kleinen, privaten Bauernhof betrieb. Jürgen brachte seinen PKW-Anhänger, ein sehr klapprig wirkendes Stahlgestell mit Holzboden, auf den eine Art Klappzelt montiert war, und schraubte mit meinem Vater, der alles andere als ein geschickter Handwerker war, stundenlang in derGarage daran herum, wobei sie leise miteinander sprachen und sofort verstummten, wenn jemand in ihre Nähe kam. Außerdem versahen sie unseren Trabant 601 mit einer Anhängerkupplung, die Papa gegen

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