Sommerkind
es jetzt noch zu früh?” Am liebsten wäre sie sofort aus der Tür gestürmt.
Eddie lächelte. “Lass mich sie erst noch anrufen. Aber ich denke, es wird gehen.”
Während er mit der Krankenschwester telefonierte, analysierte Grace jedes seiner Worte, um herauszufinden, was Nancy am anderen Ende der Leitung sagen mochte.
Schwester Nancy.
Wie abgrundtief sie diesen Namen all die Jahre über gehasst hatte!
Danach rief Eddie bei Sally an, teilte ihr mit, dass sie heute nicht ins Café kämen, und bat sie einzuspringen. Dann fuhren sie endlich los.
Sie waren beide schweigsam, als sie die Barrier Islands hoch und über die Brücke aufs Festland fuhren. Grace knetete die Hände in ihrem Schoß. Was waren es wohl für Leute, die ihr Kind adoptiert hatten? Und würde ihre Tochter sie überhaupt sehen wollen? Sie musste auf alles gefasst sein.
Als sie nach Elizabeth City hereinfuhren, las sie Eddie die Wegbeschreibung vor. Sie fuhren durch ein hübsches altes Wohnviertel mit prächtigen Alleen und altmodischen Straßenlaternen, bevor sie schließlich vor einem großen roten Backsteinhaus anhielten. Nancy und Nathan haben es seit 1977 offensichtlich zu etwas gebracht, dachte Grace. Damals konnten sie sich nur dieses schäbige kleine Cottage als Ferienunterkunft leisten.
Eddie sah sie an. “Bereit?”, fragte er.
Sie nickte, presste die feuchten Handflächen aneinander und stieg aus dem Wagen.
Hand in Hand gingen sie den mit Schieferplatten gepflasterten Weg zur Eingangstür. Eddie klingelte, und Grace bereitete sich auf Nancys Anblick vor. Doch die Tür wurde von einer jungen Frau in Shellys Alter geöffnet. Sie war groß und schlank, hatte dunkles Haar, ein unsicheres Lächeln und einen unverkennbaren herzförmigen Haaransatz.
EPILOG
E rst als der Rettungswagen auf seiner rasanten Fahrt zum Strand den Meilenstein Nummer sechs passierte, wurde sich Daria der Ironie der Situation vollends bewusst. Hier war sie also, fast ein Jahr nach dem Flugzeugabsturz, auf dem Weg zu einem weiteren Unfall, der sich im Wasser ereignet hatte. Dieses Mal ging es um einen frühmorgendlichen Surfunfall, um den sie sich kümmern mussten.
Daria war wieder Rettungsassistentin mit Leib und Seele. Die Dämonen, die sie nach dem Tod der Pilotin verfolgt hatten, waren endgültig besiegt, und als der Einsatzwagen am Ende der Straße anhielt, spürte sie keinerlei Beklemmungen. Sie und Mike sprangen aus dem Krankenraum und liefen auf das Grüppchen zu, das sich um den verunglückten Surfer scharte. Die Leute machten ihnen den Weg frei, und erst da sah Daria, dass es sich um eine Frau handelte. Mit einem nassen Neoprenanzug bekleidet, lag sie im kalten Sand, während ein anderer Surfer ihr ein Handtuch gegen den Kopf presste.
Daria und Mike ließen sich neben der Frau auf die Knie fallen. Sie war bei Bewusstsein und lachte sogar ein bisschen über das, was ihr Surfkollege ihr erzählte.
“Ihr Brett hat sie am Kopf erwischt”, berichtete der Mann. “Sie war für ein, zwei Minuten bewusstlos, aber jetzt scheint es ihr schon besser zu gehen.”
Daria kontrollierte die Vitalfunktionen der Frau, während Mike die Platzwunde am Kopf versorgte. Sie waren gerade dabei, sie an der Trage festzubinden, als Daria zufällig aufsah und Shelly in der Menge erblickte – die kleine Mattie in einem Tragetuch vor ihrer Brust. Die Schwestern winkten sich kurz zu, und Daria fiel ein, dass Shelly am Abend für alle kochen wollte.
In wenigen Stunden käme Rory in Kill Devil Hills an. Er lebte dieser Tage an beiden Küsten des Landes: von Montag bis Donnerstag in Kalifornien und die restliche Zeit im Sea Shanty. Hin und wieder kam er in Begleitung von Zack. Wenn sie dort waren, verwandelte sich das Cottage in eine Oase des Lebens, vor allem, da auch Andy, Shelly und Mattie dort lebten. Daria hatte einfach sichergehen müssen, dass die zwei auch ohne ihre Hilfe für das Baby würden sorgen können. Doch mit der Zeit hatte das junge Ehepaar ihre Zweifel mehr und mehr zerstreut: Shelly wie Andy erwiesen sich als aufmerksame und liebevolle Eltern.
Die Woche über, wenn Rory nicht bei ihr war, sah Daria sich ihn bei “True Life Stories” an. Es war seltsam, ihn im Fernsehen zu sehen und zu wissen, dass er zu ihr gehörte – und dass sie die einzige wahre Geschichte des Lebens zusammengebracht hatte, über die er niemals in der Öffentlichkeit sprechen würde.
Nachdem die Surferin mit dem Rettungswagen abtransportiert worden war, löste sich die Gruppe der
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