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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Hänel
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Prolog
    Die Katze ist schwarz. Ein lautloser Schatten in der Nacht. Als sie hinter dem Müllcontainer hervorkommt, spiegeln ihre Augen für einen kurzen Moment das Licht der nächsten Straßenlaterne wider. Die Katze macht einen Buckel, dann streckt sie sich. Als wolle sie die Muskeln testen, die unter dem Fell darauf warten, den ganzen Körper in einer einzigen fließenden Bewegung nach vorne schnellen zu lassen. Aber noch ist es nicht so weit. Noch versuchen die Ohren, das Geräusch zu orten, das da eben war. Ein leises Rascheln nur, eher die Ahnung eines Geräuschs als wirklich ein Hinweis auf eine Bewegung im hohen Gras. Die Katze verharrt reglos, den Schwanz steil aufgerichtet, den Kopf gestreckt, die rechte Vorderpfote emporgehoben. Dann kommt der Sprung: ansatzlos. Ohne zu zögern. Zielsicher. Die Maus hat keine Chance.
    Der erste Schlag erwischt sie im Nacken und schaltet ihren Gleichgewichtssinn aus. Fiepend dreht sie sich hilflos im Kreis, als sie der nächste Schlag auf die Seite wirft. Noch einmal versucht sie zu entkommen, doch die Katze ist schon wieder über ihr, schleudert sie vor und wieder zurück, von einer Pfote zur anderen, hin und her, ohne Erbarmen, ohne Gnade. Das Recht des Stärkeren, der Lauf der Natur.
    Der Jäger lässt seine Beute zappeln, bis sie zu müde ist, um sich noch länger zur Wehr zu setzen. Bis er selber des grausamen Spiels müde ist und es beendet. Mit einem Biss, der das Rückgrat durchtrennt wie ein frisch geschärftes Messer ein Stück dünnes Papier. Jetzt! Die Katze schnellt vor, aber im gleichen Moment dringt ein Quietschen durch die Stille der Nacht, ein Türscharnier, das dringend geölt werden müsste, das Klappern einer Kette, Schritte und Stimmen – Menschen! Irritiert verfehlt die Katze ihr Ziel um wenige Zentimeter und faucht verärgert, bevor sie von der sicher geglaubten Beute ablässt und in der Dunkelheit verschwindet. Zum ersten Mal ist das Spiel anders ausgegangen, als die Regel es verlangt. Die Maus versucht, sich mit gelähmten Hinterbeinen davonzuschleppen, aber sie erreicht das schützende Schlupfloch nicht mehr. Der Stollenreifen des Mopeds zerquetscht sie zu einem dunklen Fleck blutiger Fetzen aus Fell und Knochensplittern im Gras.
    Irgendwo im Ort heult ein Hund den Mond an.

Eins
    »Verdammter Köter!«, quetscht Jannik zwischen den Zähnen hervor. »Wenn der die anderen Hunde aufweckt, haben wir gleich das schönste Konzert hier. Genau das, was wir jetzt überhaupt nicht gebrauchen können!«
    »Bleib cool, Mann«, erwidert Lukas. »Die Hunde bellen nachts öfter mal wegen irgendwas, das kriegt doch schon gar keiner mehr mit. Eure Schuppentür eben war schlimmer. Habt ihr eigentlich kein Öl im Haus?«
    »Nerv mich jetzt nicht, Alter! Sag mir lieber, wie weit ich das Ding noch schieben soll …«
    »Bis zur Kreuzung, das haben wir doch besprochen! Da sind nur der Supermarkt und die Tankstelle und kein Wohnhaus. Bist du dir sicher, dass es überhaupt anspringt?«
    »Es springt an! Ich hab heute Morgen extra noch mal die Kerze sauber gemacht, der Motor kommt sofort, keine Panik.«
    Die nächsten hundert Meter legen sie schweigend zurück. Sie haben beide schwarze Kapuzenpullis über ihren T-Shirts an. Schwarze Jeans, schwarze Sneakers. Das Kennzeichen des Mopeds ist mit schwarzem Klebeband verändert. HE statt HI . Und aus der 3 haben sie eine 8 gemacht. Für einen flüchtigen Blick muss das reichen. Falls ihnen überhaupt jemand begegnen sollte, der nachher tatsächlich noch die Nerven hat, auf ihr Kennzeichen zu achten!
    Ihre Turnschuhe machen so gut wie kein Geräusch auf dem Asphalt, nur das Vorderrad des Mopeds schleift ein bisschen. Der Hund hat aufgehört zu heulen.
    Ein plötzlicher Windstoß trägt den leisen Summton vom Atomkraftwerk herüber, den sie alle seit Jahren kennen und kaum noch wahrnehmen. Zwischen zwei Häusern hindurch haben sie freien Blick auf die Silhouette des Kraftwerks unten am Fluss. Die beiden Kühltürme werden auch bei Nacht angestrahlt, das Firmenlogo des Energiekonzerns ätzt höhnisch eine stilisierte Sonnenblume über dem Schriftzug in die Dunkelheit. Die dichten qualmenden Wolken über den Kühltürmen reflektieren das Licht der roten Begrenzungsleuchten am oberen Rand, das Ganze sieht aus wie die gemalte Kulisse in einem Science-Fiction-Film. In einem schlechten Science-Fiction-Film.
    Für einen kurzen Moment denkt Lukas, dass heute auffällig viel Betrieb auf dem Gelände herrscht, mehr jedenfalls als sonst.

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