Sommerkind
tun.”
“Tja, es hat dich niemand gezwungen, einen körperlich so anstrengenden Job zu machen, oder?” Ellen setzte den Krug ab und platzierte die Gläser vor den einzelnen Tellern.
“Stell dir vor, ich bin einfach eine Masochistin”, erwiderte Daria, die sich eigentlich auf keinen Kampf einlassen wollte. Besser als eine Sadistin, dachte sie und erinnerte sich an die Mammografie im letzten Jahr. Der Arzt hatte in einer Brust eine kleine Zyste gefunden und die Untersuchung angeordnet, um eine ernsthafte Erkrankung auszuschließen. Die Mammografie war einfach, schnell und schmerzlos vonstatten gegangen, doch Daria war davon überzeugt, dass es auch anders hätte ablaufen können – wenn nämlich eine MTA wie Ellen die kalten Plexiglasplatten zusammengedrückt hätte.
Chloe kam auf die Veranda und sah zum Tisch. “Wieso ist denn nur für vier gedeckt?”, fragte sie.
“Rate mal”, antwortete Ellen. “Ted geht Angeln.”
Wie aufs Stichwort kam Ted auf die Terrasse, in der einen Hand die Angelrute, in der anderen einen Eimer. “Was beißt denn zurzeit?”, fragte er Daria.
Daria versuchte, sich den letzten Angelbericht ins Gedächtnis zu rufen. Es war unmöglich, auf den Outer Banks zu leben und nicht zu wissen, was gerade biss.
“Adlerfisch, glaube ich”, sagte sie. “Bring uns was Schönes zum Abendessen mit, ja?” Eigentlich mochte sie Ted. Er war übergewichtig, und jedes Jahr quoll sein Bauch ein bisschen mehr über den Hosenbund. Seine braunen Augen blickten freundlich, und sein graues Haar wich immer weiter zurück. Er war farblos und zurückhaltend, und obwohl seine Frau ihn als Fußabtreter benutzte, lag in seinem Verhalten keine Spur von Verteidigung. Seit Daria ihn kannte, machte sich Ted bei der erstbesten Gelegenheit auf zum Angelsteg, und sie konnte ihm seine Flucht nicht übel nehmen.
Er gab Ellen einen flüchtigen Kuss auf die Wange. “Bis heute Abend, Liebes”, sagte er. “Sieh zu, dass der Grill heiß ist, wenn ich zurück bin.”
“Warum?”, fragte Ellen. “Kaufst du auf dem Rückweg noch ein paar Steaks?”
“Sehr komisch”, brummte er, als er sich auf den Weg von der Terrasse zu seinem Auto machte.
Shelly brachte eine Schüssel mit Obst auf die Veranda. “Lasst uns essen”, schlug sie vor, und die vier Frauen setzten sich an den Tisch.
“Wie geht es deinen Mädchen in Frankreich?”, fragte Daria, während sie Ellen ein paar Obststücke auf den Teller schaufelte.
“Ach, sie sind ganz begeistert. Allerdings habe ich das Gefühl, dass sie mehr Zeit ins Einkaufen und in die Männerjagd investieren als ins Lernen.” Ellen lachte.
“Sie werden mir diesen Sommer fehlen”, sagte Daria und meinte es ehrlich. Ellens Töchter waren anders als ihre Mutter und gaben sich immer Mühe, Shelly in ihre Unternehmungen einzubinden – und das, obwohl sie fünf Jahre jünger waren.
“Ich kann nicht gerade behaupten, dass ich sie vermisse”, gestand Ellen. “Endlich ist es still in unserem Haus. Keine laute Musik, keine Teenager, die Tag und Nacht ins Haus und wieder raus rennen.” Auf einmal sah sie auf die Uhr. “Wieso arbeitest du heute denn gar nicht?”, fragte sie. “Du arbeitest samstags doch immer bei der Freiwilligen Rettung, oder?”
“Stimmt, aber ich mache gerade eine kleine Pause.”
Ellen war überrascht. “'Supergirl' wird wohl langsam zu alt für die Herrschaft, was?”, fragte sie.
“So ähnlich”, sagte Daria, froh darüber, so leicht davongekommen zu sein.
“Und wo ist Pete?”, fragte Ellen weiter. “Irgendwie seltsam, dass er nicht hier herumlungert.”
“Wir haben uns getrennt.”
“Du machst Witze.” Ellen sah ehrlich betroffen aus. “Ihr wart wie füreinander geschaffen”, sagte sie. “Ich dachte immer, er wäre genau dein Typ. Du als Sportskanone brauchst doch so einen supermaskulinen Mann. Nur neben einem Mann wie Pete wirkst du weiblich.”
“Tja, es sollte wohl einfach nicht sein”, antwortete Daria. Ellen hatte es geschafft, sogar ihre Mitleidsbekundung in eine Beleidigung zu verwandeln.
Auf der anderen Seite der Straße fiel die Verandatür ins Schloss, und Daria wandte sich sogleich in die Richtung, aus der das Geräusch kam – als hätte sie nur darauf gewartet. Rory überquerte den Vorplatz. Er ging zu seinem Auto. Daria zwängte sich aus der Bank des Picknicktischs und öffnete die Fliegengittertür der Terrasse.
“He!”, rief sie. “Gehst du später noch ins Fitnessstudio?”
Rory blieb stehen und sah zu ihr
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