Sommerkind
davon?”
“Das ist mir egal.” Sean meinte, auf Shellys Gesicht zum ersten Mal diesen rebellischen Ausdruck zu sehen. Er war sich sicher, dass die Cato-Schwestern von Rory Taylors investigativem Ausflug in die Vergangenheit alles andere als begeistert waren.
Shelly stöhnte plötzlich. “Das hätte ich ja fast vergessen. Ellen und Ted kommen heute Abend.”
“Wer?” Einen Moment lang war er von ihrem abrupten Themenwechsel irritiert, auch wenn er sich nach den zweiundzwanzig Jahren, die er Shelly nun kannte, eigentlich längst daran gewöhnt hatte. “Ach so, eure Cousine Ellen”, sagte er.
“Ja. Und ich mag sie immer noch nicht richtig, Pfarrer Sean. Ich versuche es ja, aber es klappt einfach nicht.”
“Aber du gibst dir ernsthaft Mühe, Shelly, und das ist es, was zählt.” Er sah auf die Uhr. “Ich mache mich besser wieder an den Papierkram hier”, sagte er. “Und du ans Staubwischen.”
“Jawohl!” Sie sprang auf und widmete sich wieder den Jalousien.
Sean sah auf die ausgebreiteten Zettel und schloss dann die Augen.
Rory Taylor.
Seine Hände zitterten, als er die Kappe auf den Füller steckte und ihn auf den Tisch legte. Unter keinen Umständen könnte er jetzt die Beichte abnehmen.
14. KAPITEL
D aria erwachte an jenem Samstagmorgen mit knurrendem Magen. Sonnenlicht durchflutete ihr freundliches weißblaues Schlafzimmer, und in ihr machte sich die freudige Erkenntnis breit, dass sie weder arbeiten noch unterrichten musste, sondern den lieben langen Tag nur faulenzen könnte. Vielleicht würde sie ins Fitnessstudio gehen. Vielleicht wäre Rory auch da. Dann fiel ihr plötzlich ein, dass Ellen und Ted zu Besuch waren, und ihre Stimmung absolvierte einen Sturzflug.
Sie waren am Abend zuvor angekommen, und schon als Daria ihr Auto in der Auffahrt gehört hatte, war es mit ihrer guten Laune vorbei gewesen. Seit einem Jahr hatte sie ihre Cousine nicht gesehen, und erst jetzt wurde ihr klar, wie himmlisch diese Zeit ohne Ellens ständige Einmischungen gewesen war. Daria hatte die beiden Gäste nur kurz begrüßt und war dann, Müdigkeit vorschützend, zu Bett gegangen – mit einem schlechten Gewissen, weil sie Chloe und Shelly mit der Gastgeberrolle alleingelassen hatte.
Bis zu ihrer Hochzeit mit Ted hatte Ellen gemeinsam mit Tante Josie jeden Sommer im Sea Shanty verbracht. Seitdem kamen sie und Ted mit ihren zwei Töchtern während des Sommers gelegentlich übers Wochenende vorbei. Dazu warteten sie noch nicht einmal auf eine Einladung. Für gewöhnlich kündigte Ellen ihren Besuch einfach telefonisch an, und nach all den Jahren brachte Daria es einfach nicht übers Herz, Nein zu sagen. Außerdem ließe Chloe es nie und nimmer zu, dass Daria ihre Cousine abwies. Chloe schaffte es, Ellen aus einer vollkommen anderen Perspektive zu betrachten. “Wir müssen verstehen, warum Ellen so ist, wie sie ist”, pflegte sie zu sagen. “Ihr Vater starb, als sie noch klein war. Und Tante Josie war nicht gerade der herzlichste und mütterlichste Mensch auf Erden. Wir müssen Verständnis für Ellen haben. Wir müssen ihr Liebe und Mitgefühl schenken.” Doch es war nicht leicht, jemandem Liebe und Mitgefühl zu schenken, wenn man nichts als Sarkasmus und Ungehobeltheit erntete.
Daria stand auf, und während sie sich Shorts und T-Shirt überzog, versuchte sie, ihre positiven Gefühle wieder auszugraben. Sie schaute aus dem Fenster zum Poll-Rory und fragte sich, ob Rory um diese Zeit wohl schon auf war. Dann ging sie nach unten, um sich der Begegnung mit ihren Gästen zu stellen.
Ellen war auf der Veranda und füllte die Gläser auf dem Picknicktisch gerade mit Orangensaft. Als Daria in der Mitte des Tischs eine Platte mit Waffeln und Würstchen stehen sah, wusste sie gleich, dass Shelly sich den Morgen über mit Kochen beschäftigt hatte; vermutlich, um Ellen zu entwischen.
“Na ja”, sagte Ellen, als sie ihren Blick von den Gläsern auf Daria richtete. Daria bemerkte die silbergrauen Strähnen im Haar ihrer Cousine sofort. Die Farbe war richtig hübsch – besonders im Sonnenlicht, das auf die Veranda fiel –, doch der Rest ihrer Frisur wirkte, als hätte sich ein Fünfjähriger mit einer stumpfen Schere daran ausgelassen. “Immerhin siehst du heute Morgen ein wenig freundlicher aus.”
Sofort spürte Daria ein Kribbeln auf der Haut. “Tut mir leid, dass ich gestern so schnell verschwunden bin”, sagte sie und setzte sich in einen Schaukelstuhl. “Es war ein langer Tag. Gab viel zu
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