Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
in den Garten hinaus. Beim letzten Mal, als sie dieser Zeremonie, der Prüfung, beigewohnt hatte, war sie diejenige gewesen, die seine Hand gehalten und gehofft hatte, seine Lebensgefährtin zu werden, seine Königin.
Die Lichtung war umringt von Elfen – vor allem Sommerelfen, aber auch einige Abgeordnete anderer Höfe waren gekommen. Schon daran konnte man sehen, wie absolut außergewöhnlich diese Prüfung war.
Keenan ging auf sie zu. »Bist du …«
Ashlyn hielt ihn zurück, indem sie sanft die Hand auf seinen Arm legte und den Kopf schüttelte.
Er sah sie verwirrt an, blieb jedoch stehen und stellte Donia keine Fragen, die sie nicht beantworten wollte. Donia schaute Ashlyn an und nickte; sie ertrug seine Liebenswürdigkeit nicht, nicht jetzt, während sie sich darauf vorbereitete, ihn einem anderen Mädchen zu übergeben.
Ash wird eine gute Königin sein. Gut für ihn , ermahnte sie sich selbst. Dann ging sie zu dem noch nicht blühenden Weißdornbusch in der Gartenmitte und legte das Zepter darunter. Sasha trottete neben sie, und sie stützte sich mit einer Hand auf seinen Kopf.
»Ashlyn!«, rief Donia aus der Mitte der Lichtung.
Das Mädchen trat vor. Sie leuchtete bereits, wirkte schon jetzt kaum mehr wie eine Sterbliche.
»Wenn du nicht die Richtige bist, wirst du der Kälte des Winters ausgesetzt sein. Du wirst seiner …«, Donia neigte ihren Kopf in Keenans Richtung, »nächsten Sterblichen erzählen, wie unklug es ist, dies zu tun. Du wirst ihr und auch allen anderen, die noch folgen, während du die Kälte erduldest, sagen, wie dumm es ist, ihm zu vertrauen. Wenn du einwilligst, werde ich von der Kälte befreit, unabhängig vom Ergebnis der Prüfung.«
Sie verstummte, um Ashlyn einen Moment Zeit zu geben, über ihre Worte nachzudenken, dann fragte sie: »Bist du mit alldem einverstanden?«
»Ja, das bin ich.« Ashlyn trat langsam und bedächtig vor, bis sie direkt vor ihr stand.
Hinter ihr wartete Keenan, seine Haut leuchtete wie die Sonne, und Donia wurde ganz schwindlig bei seinem Anblick. Es war so viel Zeit vergangen, seit er ihr in einem derart hellen Glanz erschienen war, dass sie sich eingeredet hatte, ihre Erinnerung müsste sie täuschen und er wäre in Wirklichkeit gar nicht so schön.
Aber er war es.
Sie zwang sich, ihre Augen von ihm loszureißen. »Bitte«, betete sie. »Bitte, lass Ashlyn die Richtige sein.«
Ashlyn verspürte den Sog, den Drang, das Zepter aufzuheben. Sie trat einen Schritt vor.
»Wenn du nicht die bist, die ich suche, wird Beiras Kälte in dich fahren.« Keenans Stimme umwehte sie wie ein Sommergewitter, das durch die Bäume braust. Er kam näher. »Willst du das Wagnis eingehen?«
»Ja.« Ashlyns Stimme war zu leise, um gehört zu werden, deshalb wiederholte sie es lauter: »Ja.«
Keenan sah wild und unbezähmbar aus, wie er da auf sie zukam; er strahlte so hell, dass sie sich zwingen musste, ihn anzusehen. Seine Füße sanken in das beinahe brodelnde Erdreich ein. »Dies ist, was ich bin. Was ich wirklich sein werde, wenn du die Sommerkönigin bist.«
Er blieb ein paar Schritte vor ihr stehen. »Dies ist, was du sein wirst – wenn dich die Kälte nicht raubt«, fügte er dann hinzu.
Sie spürte, wie ihre Muskeln sich anspannten, aber sie wich nicht vor ihm zurück.
Dann kniete Keenan, der König des Sommers, in all seinem Glanz vor ihr nieder und gewährte ihr noch eine letzte Chance, es sich anders zu überlegen. »Du hast dich also wirklich entschieden, das Wagnis einzugehen?«
Die Sommermädchen drängten auf die Lichtung, um zuzuschauen. Beiras Hexen und eine Vielzahl anderer Elfen standen um sie herum.
»Alle Sterblichen seit Donia« – er schaute kurz wehmütig zu ihr hin – »haben es vorgezogen, im Sonnenlicht zu bleiben. Sie alle haben das Risiko gescheut, so zu werden wie sie.«
Donias leichenblasse Finger krallten sich in Sashas Fell, als Keenan fortfuhr: »Du weißt, wenn du nicht die Richtige bist, wirst du die Kälte der Winterkönigin in dir tragen – so lange, bis die nächste Sterbliche denselben Mut aufbringt wie du. Versprichst du, sie dann davor zu warnen, mir zu vertrauen?«
Das Rauschen der Bäume umtoste sie wie ein Gewitter ohne Regen, wie Stimmen, die etwas in einer Sprache schrien, an die sie sich nicht erinnern konnte.
Donia drückte Ashlyns Hand.
»Ich weiß.« Ashlyn sprach jetzt lauter; sie war ganz sicher, das Richtige zu tun. Ganz tief in ihrem Inneren wusste sie, dass dies die richtige Entscheidung
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