Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
seit einiger Zeit ziemlich idiotische Gedanken über ihn machte. Sie malte sich beispielsweise aus, wie es wohl wäre, wenn sie auf sein Flirten eingehen würde. Dabei war Seth nie mit irgendeinem Mädchen zusammen. Ihm eilte der Ruf voraus, ein guter One-Night-Stand zu sein, aber das war nicht, was sie wollte. Na ja, interessiert war sie schon, aber nicht, wenn sie dadurch Gefahr lief, seine Freundschaft zu verlieren oder seine stählerne Oase nicht mehr betreten zu dürfen.
»Alles in Ordnung?«
Sie hatte vor sich hin gestarrt. Schon wieder. »Klar. Ich bin nur, ich weiß nicht, irgendwie müde, schätze ich.«
»Möchtest du darüber reden?«
»Worüber?« Sie nippte an ihrem Tee und hoffte, dass er zu fragen aufhörte. Aber ebenso sehr hoffte sie auch, dass er es nicht tat.
Wie gut es tun würde, wenn ich es irgendwem erzählen könnte. Einfach mit jemandem darüber reden . Grams vermied es, wo sie nur konnte, über die Elfen zu sprechen. Sie war alt und wirkte von Tag zu Tag müder; zu müde, um Ashlyn darüber auszufragen, was sie machte, wenn sie nicht zu Hause war, zu müde, um sie zu fragen, wohin sie nach Einbruch der Dunkelheit ging.
Ashlyn riskierte ein vorsichtiges, ruhiges Lächeln. Ich könnte es ihm erzählen . Nein, konnte sie nicht, eigentlich nicht; das war eine der Regeln, die Grams zufolge niemals gebrochen werden durften.
Ob er mir glauben würde?
Irgendwo in den Tiefen des zweiten Waggons lief Musik – ein bunter Mix aus allem, was er liebte: von Godsmack bis zu den Dresden Dolls, Sugarcult, Rachmaninow und noch einiges andere, das sie nicht identifizieren konnte.
Es war alles friedlich – bis Seth plötzlich mitten im Satz innehielt und seinen Tee neben sich auf den Tisch stellte. » Bitte , sag’s mir doch. Was ist los?«
Ihre Hand zitterte so stark, dass der Tee aus ihrer Tasse auf den Fußboden schwappte. Normalerweise drängte er sie nie zu etwas; das war nicht seine Art. »Was meinst du denn? Es ist nichts …«
»Ach, komm schon, Ashlyn«, unterbrach er sie. »Du siehst bedrückt aus in letzter Zeit. Du bist viel häufiger hier als sonst, und wenn es nichts mit uns beiden zu tun hat …« – er verstummte und sah sie mit einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck an. »Oder hat es das?«
Sie wich seinem Blick aus. »Zwischen uns ist alles in Ordnung.«
Sie lief in die Küche und holte einen Lappen, um den Tee aufzuwischen.
»Was dann? Steckst du in Schwierigkeiten?« Er streckte den Arm nach ihr aus, als sie an ihm vorbeikam.
»Mir geht’s gut.« Sie wich ihm aus und ging den Tee aufwischen. Dabei hielt sie ihren Blick starr auf den Boden gerichtet und versuchte zu ignorieren, dass er sie die ganze Zeit beobachtete. »Wo sind eigentlich die anderen alle?«
»Ich hab ihnen gesagt, dass ich mal ein paar Tage meine Ruhe haben will. Ich wollte mit dir allein sein. Um zu reden und so.« Mit einem Seufzer bückte er sich zu ihr herunter und nahm ihr den Putzlappen aus der Hand. Dann warf er ihn Richtung Küche, wo er mit einem Klatschen auf dem Tisch landete. »Rede mit mir.«
Sie stand auf, aber er griff nach ihrer Hand, bevor sie erneut weggehen konnte.
Er zog sie näher zu sich heran. »Ich bin hier. Ich werde immer hier sein. Was auch immer es ist.«
»Es ist nichts. Wirklich!« Sie stand da, eine Hand in seiner, während ihr anderer Arm schlaff herunterhing. »Ich brauche nur einen Ort, an dem ich sicher bin und jemand bei mir ist.«
»Hat dir jemand was getan?« Jetzt klang er noch seltsamer, angespannt.
»Nein.« Sie biss sich auf die Lippe. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er so viele Fragen stellte, hatte sich sogar darauf verlassen.
»Hat jemand gedroht, dir was zu tun?« Er zog sie auf seinen Schoß, schob ihren Kopf unter sein Kinn und legte schützend seine Arme um sie.
Sie wehrte sich nicht. Wenn sie vom Friedhof zurückkam, nachdem sie das Grab ihrer Mutter besucht hatte, nahm er sie auch immer in den Arm. Jedes Mal. Und auch als im letzten Jahr Grams krank gewesen war, hatte er das getan. Nicht dass er sie in den Arm nahm, war ungewöhnlich; die Fragen waren es.
»Ich weiß nicht.« Sie kam sich blöd vor, aber sie musste plötzlich weinen, dicke, dämliche Tränen, die sie nicht aufhalten konnte. »Ich weiß nicht, was sie wollen.«
Seth strich ihr übers Haar, ließ seine Hand ganz bis zu ihren Haarspitzen und weiter über ihren Rücken gleiten. »Aber du weißt, wer sie sind?«
»Ja, so ungefähr.« Sie nickte schniefend. Das ist
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