Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
seit aller Ewigkeit solches Vertrauen entgegen.
Was allerdings nicht hieß, dass sie ihm vertrauen sollte. Devlin ließ ihre Hand los, und sie durchquerte den Raum. Er folgte ihr.
»Sieh sie dir an.« Sorcha wedelte mit der Hand durch die Luft und zeigte ihm das Bild einer Frau. Die Sterbliche war hübsch: ein herzförmiges Gesicht, hellbraune Haare und olivgrüne Augen. Zwei kleine, miteinander raufende Kinder waren mit ihr in dem Zimmer. Sie wälzten sich kichernd über den Boden.
»Der jüngste Welpe stellt ein Problem dar.« Die Königin des Lichts hielt inne, ihre Gesichtszüge wurden weich, so dass sie fast sehnsüchtig aussah. Doch als das Bild im Dunst sich auflöste und die Temperatur sank, versteinerte ihre Miene. »Sie muss beseitigt werden.«
»Soll ich sie herholen?« Devlin wusch sich in dem mittlerweile eisigen Wasser, das durch den Saal seiner Mutter-Schwester floss, die Hände. Er hatte schreiende Kinder und stille Künstler herbeigeschafft, seiner Königin auf Befehl Musiker und Verrückte gebracht. Es war üblich, Sterbliche oder Halblinge ins Elfenreich zu holen – wenn auch nicht so vergnüglich wie manch andere Aufgabe.
»Nein.« Sie blickte ihn lange an. »Sie darf das Elfenreich nicht betreten. Niemals.«
Sorcha trat einen Schritt vor, so dass der Saum ihres Kleides das Wasser berührte. Ihre stets nackten Füße waren dem eiskalten Nass ausgesetzt, und für einen kurzen Moment sah er sie, wie sie war: eine Kerze mit einer schwachen Flamme, umgeben von der Dunkelheit des Chaos. Ihr feuerrotes Haar bewegte sich in einem Windhauch, der nur existierte, weil sie es wollte. Der Raum um sie herum verwandelte sich von einem kühlen Saal in einen fruchtbaren Dschungel, dann in eine Wüste und schließlich zurück in den Saal, womit er nur einen ganz kurzen Gedanken von ihr widerspiegelte – wie es alle Dinge im Elfenreich taten. Sie war deren Ursprung, ihre Schöpferin. Sie war die Ordnung und das Leben. Ohne Sorchas Willen hätten nur sie und ihre Antithese, ihre Zwillingsschwester Bananach, existiert.
»Was möchtest du, dass ich also tue?«, fragte er.
Sorcha sah ihn nicht an. »Manchmal braucht es den Tod, um die Ordnung zu wahren.«
»Das Kind?«
»Ja.« Ihre Stimme war ausdruckslos, selbst wenn sie den Tod eines Kindes anordnete. Sie war die Vernunft in Person, ihrer Stellung sicher, ihrer Rechtschaffenheit gewiss. »Sie entstammt dem Hof der Finsternis, ist Tochter der Wilden Meute, von Gabriel höchstpersönlich. Wenn sie weiterlebt, wird sie Auslöser inakzeptabler Komplikationen sein.«
Sie ging weiter in das Wasser hinein. Und plötzlich erstarrte der Wasserfall mitten im Fluss, so dass ihre Worte das einzige Geräusch in dem nun stillen Saal waren. »Korrigiere das, Bruder.«
Er verneigte sich und ging, ohne dass sie ihren Blick von dem unterbrochenen Wasserfall abwendete oder seinem Rückzug Aufmerksamkeit schenkte. Sie wusste auch so, wo er war. Das Wasser krachte lauter herab als zuvor, als er den Saal verließ.
Sie weiß es selbst dann, wenn sie nicht hinsieht. Manchmal fragte sich Devlin, wie viel von seinem Leben Sorcha eigentlich sah. Er lebte für sie, nach ihrem Willen und an ihrer Seite. Aber ich gehöre nicht nur ihr . Diese Tatsache vergaß sie nie. Aus Erde und Magie, Willen und Bedürftigkeit hatten die Zwillinge Sorcha und Bananach ihn erschaffen, den ersten männlichen Elf. Sie brauchten sowohl Männliches als auch Weibliches in ihrer Welt – eine Balance, wie sie in allen Dingen erforderlich war.
Du bist weder Sohn noch Bruder, hatte sie ihm erklärt. Sondern elternlos, wie ich.
Ordnung und Zwietracht schufen ihn wie aus Stein gemeißelt; er war eine Skulptur, von zweien gestaltet, die niemals wieder zusammenarbeiten würden. Sie verliehen ihm gleichzeitig zu viele kantige Gesichtszüge und zu viele weiche Stellen: seine Lippen waren zu voll, seine Augen zu kalt. Er war ein Kompromiss aus ihren besten Eigenschaften und Merkmalen. Während Bananach Haare aus dem reinsten Schwarz besaß, züngelten Sorchas mit ebenso vielen Farbschattierungen wie eine Flamme. In seinen hingegen waren alle Farben des Regenbogens zu einem gleißenden Weiß vereint. Sie gaben ihm rabenschwarze Augen und eine Stärke, die Bananachs nicht unähnlich war, doch von ihrem Wahnsinn hatte er nichts. Sie verliehen ihm eine große Gestalt und Sorchas Liebe zur Kunst, aber nichts von ihrer körperlichen Selbstbeherrschung. Gemeinsam hatten sie ein Ding von extremer Grausamkeit und
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