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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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Höhle hinaus. Die Babys krabbelten über den Boden und piesackten eine Feldmaus, und S’ee in der Ecke kaute auf einer Elchsehne, um das Leder weich zu machen, denn sie wollte ihren Mann mit neuen Mokassins überraschen. Den ganzen Morgen hockte er am Höhleneingang, weil er beobachten wollte, wie die Jahreszeit sich veränderte, doch zu ihrer Überraschung brach er seine Überwachung ab und schlenderte zu ihr. Er setzte sich neben sie auf eine Decke, die aus Hasenfellen zusammengenäht war, und schlang seinen Arm um ihre Schulter.
    »Ruhelos?«, fragte sie. »Der Winter ist fast vorüber, also: Kopf hoch.«
    »Der Jüngste wird es sein, glaube ich. Der jüngste Bruder wird mich töten.«
    Sie ließ das Leder in ihren Schoß sinken, warf einen raschen Blick auf ihre Kinder und fragte: »Wovon sprichst du?«
    »Ich habe letzte Nacht geträumt, dass sie meinetwegen kommen. Nein, kein Traum, es war eine Vision. Deine Brüder kommen, um mich zu töten. Der jüngste wird mich mit seinem Pfeil genau treffen. Sie kommen schon bald.«
    »Sicher hast du schlechte Wurzeln gegessen, dein Magen ist verstimmt und verursacht dir solche Albträume.«
    »Ich liebe dich, Dolly, auch wenn du mich noch immer nicht liebst, aber du musst tapfer sein und achtgeben. Deine Brüder kommen, und ich möchte, dass du etwas für unsere Kinder tust.«
    Reue überkam sie plötzlich. Sie rückte neben ihn, doch da er sie nicht ansah, rutschte sie hinter ihn und schlang die Arme um seine Brust.
    »Hab keine Angst«, sagte er. »Ich werde meine Schwäger nicht töten. Wenn sie mich mit ihren Pfeilen durchbohrt haben, lass sie ein Feuer an meinem Kopf und zu meinen Füßen entzünden. Bitte sie um meine Haut und spanne sie über vier Pfähle, sodass ich jeden Morgen die Sonne aus ihrem Versteck kommen sehen und jeden neuen Tag meinen Geist aussenden kann, damit er meine Familie beschütze.«
    »Du darfst nicht so dummes Zeug reden.« Sie küsste seinen Nacken.
    Der Nachmittagswind blies kräftig und trug Hundegeruch heran, und X’oots schritt auf dem Felsvorsprung vor der Höhle hin und her. Er richtete sich groß auf und schlurfte dann zurück zu S’ee. »Wo sind meine Messer?«, fragte er. »Ich muss mir meine Messer in den Mund stecken.« Sie begriff, dass dies bedeutete, er würde sich in einen Bären verwandeln, was er sonst nie in ihrem Beisein bei Tageslicht tat. Er würde ihnen seine Zähne und Krallen zeigen. Sorgen über die Gefahren für ihre Brüder entschlüpften ihrem Geist, und er las ihre Gedanken in der Luft.
    »Sei unbesorgt. Ich könnte sie einen nach dem anderen töten. Ein Prankenhieb ins Gesicht, und sie würden tot niedersinken, aber ich werde die Jungen nicht verletzen, Dolly, weil es auch dich verletzen würde. Aber wo sind meine Zähne? Vielleicht kann ich sie verschrecken.« Er nahm Bärengestalt an.
    Unten schnüffelten die Hunde an herumliegenden Fichtennadeln und an den Klumpen aus Erde und Moos mit ihrem Duft, die sie den Berg hinuntergerollt hatte, und der Mann, der den Hunden folgte, legte der Sonne wegen die Hand über die Augen und hielt Ausschau nach der Höhle. Zwei Brüder schlugen einen weiten Bogen, um sich dem Bären von oberhalb des Eingangs zu nähern, sie kletterten über Geröll, wobei sich Steine wie winzige Lawinen lösten. X’oots und S’ee hörten sie durch die Höhlendecke kommen.
    »Vergiss nicht …«
    Die anderen Jäger erklommen den steilen Berghang von vorne, ihnen voraus auf der Fährte die Hunde, die ab und zu mit gespitzten Ohren stehen blieben und lauschten. Chewing Ribs wedelte mit dem Schwanz und bellte die Höhle an; ohne an den Grizzly zu denken, sprang er zwischen den kräftigen Beinen des Bären hindurch in S’ees Arme. X’oots, der seine ganze Aufmerksamkeit auf die sich nähernden Männer richtete, übersah den kleinen Hund vollkommen. S’ee versuchte, ihn zur Ruhe zu bringen, schob seine Zunge und seinen Kopf weg und drückte ihn hinter ihrem Rücken gegen die Höhlenwand, wo er sich windend mit dem Schwanz einen Trommelwirbel auf ihre Wirbelsäule schlug. Als jedoch der Bär in die Dunkelheit hinein auf die Unruhe spähte, hielt Chewing Ribs ganz still. »Ist einer ihrer Hunde hereingekommen?«, fragte X’oots.
    »Nein, es war ein Fausthandschuh. Einer der Brüder hat ihn hereingeworfen, um zu sehen, ob du da bist.«
    Als der Bär die Anspannung nicht länger aushielt, streckte er die Nase zur Höhle hinaus und gab sich preis. Die Brüder unten stießen einen Schrei aus,

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