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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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ein Stück Wurst im Flug zu schnappen, zur Kunst entwickeln konnte. Vor allem anderen aber schien ihn die Anerkennung zu verwandeln, die seine Persönlichkeit erfuhr; die strikte Achtung seiner Würde als Hund und die ungeheuchelte Anteilnahme an seinen Verletzungen und Kümmernissen trieben Eigenschaften aus ihm heraus, die vorher verborgen gewesen waren: eine erstaunliche Feinfühligkeit und, alleVorurteile über die Hundenatur außer Kraft setzend, sogar das Vermögen, seine Loyalität zwischen zwei Herrn zu teilen und seine Wachsamkeit auf das Grundstück von Jan und Ellen auszudehnen. Ungebeten hatte er angefangen, auch ihre Besucher zu verbellen. Mich natürlich nicht, dachte Irene, mich nicht und Clemens nicht, das wäre ja noch schöner. Wir gehören dazu, das riecht der Hund.
    Jetzt kommen sie näher, sind so nahe, daß Irene nicht nur ihre Stimmen hören, sondern verstehen kann, was sie sagen, dabei traten sie – paradoxe Bewegung – aus dem Innenraum, in dem sie über sie verfügen konnte, hinaus in die Außenwelt, in der sie nicht mehr unter ihrem Einfluß standen. Jetzt begannen sie, sie zu beeinflussen, sie konnte die Wellen spüren, die von ihnen zu ihr herüberkamen, ein Kraftfeld, gegen das sie sich wappnen mußte. Sie muß anfangen, sich vorzubereiten. Ein Lächeln zu proben – ihr Lächeln, das auf der Grenze von Innen und Außen, auf ihren Lippen, zersplitterte. Daß sie über diese Grenzzone keine Macht hatte. Über ihr Inneres konnte sie verfügen, die Außenwelt konnte sie wenigstens scheinbar unter Kontrolle halten. Nur über das Grenzgebiet, über ihre Haut, ihre Augen, ihren Mund, ihre Hände übte sie keine Macht aus, und ihr kam ein Gedanke, woran das liegen könnte, eigentlich war es ganz einfach, beinahe eine chemische Reaktion des Grenzgebiets, auf dem die unterschiedlichen Temperaturen von Innenwelt und Außenwelt zusammenstießen – eine heftige, verändernde, verformende Reaktion. Irene wußte nicht, ob diese Einsicht ihr in Zukunft wirklich helfen würde.
    Da standen die anderen schon am Zaun, da spürte sieihre gebündelten Blicke zwischen ihren Schulterblättern, richtete sich aber erst auf, als sie angerufen wurde. – Irene! – Ja? konnte sie unschuldig fragen. Ach, ihr? Die Maske aufsetzen. Das Clownslächeln. – Schon zurück? – Was sie mache? – Heiter, heiter! Sie ziehe Brennesseln. Anders komme man denen ja nicht bei. Handschuhe? Glatt vergessen. Das bißchen Brennen mache ihr nichts.
    Nun schwiegen sie wieder. Sie dachten sich ihr Teil, das war überdeutlich, aber das schwere, schmerzhafte Pochen ihrer Finger, die schon begannen, anzuschwellen, die Haut sprengen wollten – das fühlte nur sie. Das konnte kein noch so erschrockener Blick von Luisa, kein fragender, nachdenklicher von Ellen ihr nehmen. So gehörte ihr nichts sonst, nicht einmal Clemens, der jetzt, nachdem er kummervoll die Schultern gezuckt hatte, hinüberging, über die zu grauem Staub zermahlene Straße, wo die anderen alle vor dem Haus saßen, ihr Abendzeremoniell begannen, kühlen Wein aus den langstieligen Gläsern tranken und nach ihr riefen.
    Der Stuhl für sie war freigehalten, Irene rückte ihn an einen anderen Platz, in den Blätterschatten des Apfelbaums. Sie hörte Luisa nach Clemens’ Flöte fragen, sie spürte den bekannten Stich, ohne Grund, wie immer. Weißt du noch, hörte sie Luisa sagen, wie du voriges Jahr an unserem Brunnen gesessen und auf der Querflöte gespielt hast, und wie die Schafe zu hüpfen anfingen? Das war schön! – Naja, hörte sie Clemens verlegen erwidern. Immer diese bukolischen Szenen. – Er steht nicht dazu, dachte Irene, und sie bat Michael, ihren Sohn, Clemens’ Flöte herüberzuholen, gegen dessenEinspruch. Littelmary knurrte enttäuscht, wenn Michael sich aus ihrem Blickfeld entfernte. Ach jechen, hörte Irene sich sagen – sie spürte es selbst, eine Spur zu laut –, der erste Liebesschmerz. Littelmary war vier und Michael sechzehn. Er drehte sich noch einmal zu ihr um: Ich komm ja wieder! – Jetzt hat er mich angelacht wie ein Sonnenstrahl, sagte Littelmary zu Jenny. – Weiber! stöhnte Jenny. Dann spielte Clemens Flöte, aber nicht lange, und Irene mußte zuerst ihn, dann Luisa ansehen, in deren Blick sie jenes verdächtige »schön!« lesen konnte. Clemens wiederum warnte sie mit Blicken, da verfiel sie schnell, schnellstens in ihre so oft geübte Harmlosigkeit, lächelnd, soweit man beim Singen lächeln kann, lächelnd sang sie mit Auf einem

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