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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Baum ein Kuckuck saß, und: Als wir jüngst in Regensburg waren, auch Dort nieden in jenem Holze, alles, was Littelmary sich wünschte, bis die, den Kopf in Jennys Schoß, einschlief, und die Erwachsenen eines ihrer endlosen Gespräche über die Häuser, über die Ausbaupläne, über Handwerker, über Kalk, Zement und Ziegelsteine beginnen konnten, über Rohrdächer, über die verschiedenen Farben für Außen- und Innenanstriche. Der rote Streifen am westlichen Horizont hielt sich wieder mal unglaublich lange, zuletzt als haarschmaler Strich, auf dem die Seelen der armen Sünder in die Hölle befördert wurden. Der Mond, eine leicht eingedrückte rötliche Scheibe, zeigte sich im Geäst der durchsichtigen Weide an Schependonks Teich. Irene spürte in ihren geschwollenen Händen das Blut klopfen.
    Dies alles, sie alle, konnte man ja ganz anders sehen. Die Genugtuung, die Irene empfand, wenn sie auf die Kehrseite der Wörter kam, konnte sich mit keiner anderenFreude messen, wieder war sie das schlimme Kind, und dies war es, was ihr wirklich zukam und wobei sie sich schmerzlich wohl fühlte, während alles andere Getue und Verstellung war, und wenn es bei ihr so war, dachte sie, wie sollte es anders sein bei den anderen? Luisa zum Beispiel konnte gar nicht so selbstlos sein, wie sie tat, unmöglich konnte sie wirklich diese Freude haben an der Freude der anderen, selbst wenn sie davon ausgeschlossen war. Das gab es nicht. Sie mußte dahinter kommen, wo Luisas Schmerzpunkt lag, den sie mit ihrer Hingabe an die Schicksale anderer schonen wollte. Sie mußte herausfinden, was die beiden, Luisa und Antonis, das ungleiche Paar, aneinanderband. Es konnte ja nur eine Schwäche sein. Zwei Schwachstellen, die zufällig zusammenpaßten und die sie auf diese Weise vor den Augen und dem Zugriff der anderen verbergen konnten, und es würde ihnen ja nicht schaden, wenn sie diesen Punkt fände und berührte. Mit Blicken. Mit Worten. Es würde ihr dann viel leichter fallen, mit Luisa durch die Stadt zu gehen, wo sich die Augen aller Männer an Luisa festsaugten und sie, sie selbst, wieder in diesen gefürchteten Zustand des Nichtvorhandenseins verfallen mußte. Wieder in diese Angst, daß auch ihr Körper wie alles andere sich als Täuschung erweisen, daß er sich auflösen und an seiner Statt eine Leerstelle erscheinen würde, ein Vakuum, ein Nichts. Nur daß sie immer Klassenbeste gewesen war, die ganze Schulzeit über, immer führend in so weit auseinanderliegenden Fächern wie Literatur und Physik, auch Chemie, jeder ihrer Lehrer war überzeugt gewesen, daß sie sein Fach studieren würde, und auch später, eigentlich in jeder Etappe ihrer Ausbildung und ihrer Berufstätigkeitwar sie als hervorstechend leistungsstark gelobt worden, sie wußte auch noch, von wem, sie hätte es wiederholen mögen, nur half es ihr nicht.
    Auch der Schmerz in den Händen half ihr nichts. Was ihr half, wenn auch nur ganz wenig, war der Schrecken, der auf Clemens’ Gesicht erschien, als er spät abends ihre Hände sah, feuerrot, zerkratzt und angeschwollen, die Finger brennende Ballons, die nun Mitleid bei Clemens hervorriefen, und war Mitleid nicht die Aschenputtel-Schwester der Liebe? Gleich folgte, das hatte sie vorausgesehen, die Gegenregung des Selbstmitleids bei Clemens, was habe ich dir getan, warum tust du mir das an. Dies war die Sekunde, auf die es ankam: Schmerz erzeugen. Wahrgenommen werden. Da sein. Lächeln, wenn Clemens etwas sagte. Denn es stand ihr besser, dachte Irene, zu lächeln als zu weinen, und nie weinte sie, wie sie es von anderen Frauen wußte, mit Vorsatz und Berechnung, auch wenn es Clemens so vorkommen mochte, besonders in letzter Zeit, wo die lächelnde Grimasse so häufig, und ohne Anlaß, zu einer Jammermiene zusammenbrach, die dann, auf die kleinste Frage hin, zum Beispiel: Was habe ich denn nun schon wieder falsch gemacht! einfach losheulte. Das Schlimme war, sie fühlte sich weinend wohler als lächelnd, und dies konnte doch nicht normal sein. Das allerschlimmste aber war, daß Clemens nichts falsch machte, oder fast nichts, daß er einfach niemandem weh tun konnte und daß eben alle auf ihn flogen, sogar das Kuckucksweibchen, wenn er mit seiner Kuckucksflöte hinters Haus trat und es lockte, irritiert flog es ihn an, antwortend. Kuckuck, Kuckuck, das machte ihn glücklich, und wieso bloß war sie nicht imstande,ihn glücklich sein zu lassen, auf die Art, die ihm gemäß war. Weil all sein Glück von mir kommen soll,

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