Sommerstueck
sie dieses Jahr ganz von Gerste eingekreist.
Vom Rand der Wiese aus, die in späteren Jahren verdarb, als das Vieh einer unsinnigen Theorie wegen in den Ställen bleiben mußte, folgten sie schnurstracks der Hochspannungsleitung, quer durch das noch niedrige Getreide. Die riesige Kastanie war ihr Anhaltspunkt,bis das Rohrdach von Antonis’ und Luisas Haus auftauchte. Dann hörten sie auch die wilde griechische Musik, machten das Fenster mit dem Kassettenrecorder aus, die Haustür, die immer offen war, wenn nicht Regen und Westwind es verboten. Und dann sahen sie auch Luisa in der Haustür stehen, mit der Hand die Augen gegen die Sonne abschirmend. Ihr seid direkt aus der Sonne gekommen, sagte sie. Das war unglaublich schön.
In früheren Zeiten müssen die Häuser ihren Platz in der Landschaft ganz von selbst gefunden haben. Wie sie es nur gemacht haben, fragten wir uns, die Natur mit ihren Wohnungen zu verschönern, anstatt sie, wie wir meistens, zu verunstalten. Die Vorfahren der Bauern, von denen Antonis und Luisa, in höchster Not und letzter Verzweiflung aus einem Neubauviertel einer brandneuen Stadt geflüchtet, dieses Haus gekauft hatten, in desolatem Zustand, allerdings, und für ein Nichts! –, hatten es sich doch gewiß nicht leisten können, sentimental zu sein, Gefühligkeit hatte doch gewiß nicht die Wahl des Platzes für ihr Anwesen beeinflußt. Stallungen und Scheune lagen einfach günstig zu ihren Wiesen und Feldern, der Tümpel neben dem Haus erlaubte Entenaufzucht, der nahe Waldrand gab Schutz gegen Nord- und Ostwinde. Aber ihr praktischer Sinn scheint ihren Blick für Schönheit nicht getrübt zu haben. In einer leichten Bodenwelle, trotzdem weithin sichtbar, die lange Fensterfront der Mittags- und Abendsonne zugekehrt, liegt es da, das Haus. Einladend, das ist das Wort. Die Erleichterung und Freude, wenn wir uns ihm näherten, verlangten keine Erklärung. Wenn draußen keiner zu sehen war, blickte man durch die Geranienauf den Fensterbrettern in die Wohnstube. Da saß Luisa an dem alten rissigen Tisch und nähte oder schrieb, oder wenigstens lag Tilli, der mächtige schwarzweiße Kater, schlafend im Schaukelstuhl. Und wenn nun er die Seele des Hauses war? Seele, Seele, ein fremder Klang. Euer Haus hat eine Seele, Luisa. Luisa, erschrocken: Ich weiß. Red nicht drüber. Oft hab ich Angst, wir verstehen sie nicht. Sie ist so verletzlich.
Links neben der Haustür sind die Gummistiefel und Holzpantoffeln aufgereiht, rechts die braunen lasierten Tongefäße und die rauhen, bauchigen, dünnhalsigen Tonflaschen, in denen die Landarbeiter ihr Trinkwasser mit aufs Feld nahmen. Auf einem runden Marmortischchen standen die angeschlagenen Gipsbüsten von Goethe und Schiller, niemandem ist je eingefallen, zu fragen, woher sie kamen, was sie hier suchten.
In den alten zerbröckelnden Korbstühlen saßen sie schon und tranken Rotwein, wir hatten keine Zeit mehr zu versäumen. Antonis goß ihnen ein, bis der rote Wein über den Glasrand auf den verwitterten Brettertisch floß. Sie hoben die Gläser. Luisa sagte: Die Zeit vor Johanni ist am schönsten.
Zuerst war es Zufall, wißt ihr es noch, daß immer ein Fest daraus wurde, wenn wir uns trafen. Dieser Abend eröffnete die Reihe der ländlichen Feste, bunte Ballons, an denen das spinnwebleichte Netz des Sommers hing. Wir Stadtmenschen, wir strikten Arbeitsmenschen hatten ja keine Ahnung gehabt, was Feste sind, ein Versäumnis, das wir aufholen mußten. Später, das ist schon wahr, gerieten wir in den Sog eines Wirbels, eine Art Festessucht kam auf: Tages- und Nachtfeste, Feste zu dritt und Feste zu zwanzig, Feste unter freiem Himmel,Feste in Wohnstuben, Küchenfeste, Scheunenfeste. Feste mit den verschiedensten Speisen. Wein war immer da, manchmal dazu nur Brot und Käse, manchmal gegrilltes Fleisch, Fischsuppe, Pizza, sogar große Braten. Die Kuchen nicht zu vergessen, die Frauen begannen, in Kuchen zu wetteifern. Es gab Feste mit Musik und Tanz, Feste, bei denen gesungen, Feste, bei denen geschwiegen, und Feste, bei denen geredet wurde. Feste zum Streiten und Feste zum Versöhnen. Spiel-Feste. Wir lehrten uns, den Rausch zu lieben. Mag sein, es müßte heißen: Wir lernten es von Luisa.
Luisa dachte, jeder müsse es sehen: das Ekzem auf ihren Armen, das sie so lange gequält hatte, zog sich zurück. Nun, nach den drei Schweigetagen, konnte sie Ellen erzählen, was die Frau in Wimmersdorf mit ihr gemacht hatte. Fast gar nichts, weißt du. Nichts
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