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Sommersturm

Sommersturm

Titel: Sommersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Buettner
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Mann zu sehen, der mich an meinen Vater
erinnerte:  markante Züge, die gleichen grauen Strähnen im pechschwarzen
Haar, ein beinahe scheues Lächeln.
    „Wie
gut kanntest du eigentlich meinen Vater?“, fragte ich Betty. Über meine Mutter
hatten wir ein paar Mal gesprochen, über ihn kaum, obwohl ich inzwischen fast
schon ein Jahr bei Betty lebte. 
    „Du
weißt ja selbst“, sagte sie, „in den letzten Jahre haben wir uns kaum noch
gesehen.“
    „War
das denn früher anders?“ Ich warf das Buch auf den Tisch, fünf Mal
durchblättern reichte, wenn man dabei doch kein einziges Wort las.
    Betty
sah mich kurz und nachdenklich an, dann widmete sie sich wieder ihren Nägeln.
    Ich
griff zu der Videokamera, die ich mir extra für diesen Tag von Henry geliehen
hatte. Ich wollte voll auf die Gesichter von Martha und Kurt halten, wenn
Henrys Anruf kam.
    „Ab
und zu“, sagte Betty, „haben wir uns schon noch besucht, damals. Die erste Zeit
nach ihrer Heirat sind Rosa und ich ja noch ganz gut miteinander ausgekommen.“
    „Und
wieso“, fragte ich, „hat sich das geändert?“
    „Wieso?
Wieso? Es hat sich eben geändert, nichts wieso.“
    Bettys
plötzliche Gereiztheit weckte  meine Neugier. Nur leider schien sie nicht
besonders gesprächig an diesem Tag. Vielleicht half eine kleine Provokation,
ich wollte sie um jeden Preis aus der Reserve locken.
     „Meine
Eltern waren nicht gerade gut auf dich zu sprechen.“  Ich richtete den
Sucher auf ihr Gesicht, filmte aber nicht. Ich wollte mir keine noch so winzige
Veränderung darin entgehen lassen. Aber ihre Miene blieb undurchdringlich.
    „Ich
weiß“, sagte sie und ging zur Bearbeitung der Fußnägel über. Nichts schien sie
zu interessieren außer einem gelungenen Outfit für den Abend. „Ich auch nicht
auf sie.“
    „Weißt
du eigentlich, dass mein Vater bis zuletzt ziemlich viel getrunken hat?“,
fragte ich.
    Wie
ein Gespenst huschte mein Vater immer wieder durch meine Gedanken und Träume,
aber jedes Mal, wenn ich nach ihm greifen wollte, löste er sich auf im großen
Nichts, aus dem er gekommen war. Jetzt witterte ich eine Chance, ihn vielleicht
ein wenig zu halten.
    „Das
war ein offenes Geheimnis“, meinte Betty ungerührt. „Schon als Rosa ihn damals
kennen lernte, war er oft betrunken.“
    „Warum
hat sie ihn dann geheiratet?“, fragte ich
    „Liebe?“,
sagte Betty, aber ihr Ton war zweifelnd. „So was soll’s geben.“
    „Zum
Schluss haben sie fast nur noch gestritten“, sagte ich. „Selbst wenn er
ausnahmsweise mal nüchtern war.“
    Betty
war fertig inzwischen mit ihren Fußnägeln und schien mit dem Ergebnis
zufrieden.
    „Um
ehrlich zu sein“, meinte sie, „ich kann dir auch nicht sagen, was die beiden
miteinander verbunden hat. Wahrscheinlich du. Du warst der Kitt in ihrer Ehe.“
    Sie
stand auf und ging zur Tür. Ich behielt sie durchs Objektiv im Blick. Sie war
barfuß. Unter ihrem Morgenmantel hatte sie nichts an. Ihr Hintern rückte in den
Sucher. Blitzlichtartig schoss mir die Szene unter der Dusche in den Kopf und
die aus jener frühen Nacht. Wie glühende Pfeile schossen die Bilder durch
meinen Schädel. Mir wurde etwas seltsam.
    Dann
endlich drehte Betty sich um und erlöste mich. Langsam wanderte die Kamera hoch
zu ihrem Gesicht und verweilte dort.
    „Weißt
du eigentlich?“, fragte Betty, „dass dein Vater bei dem Unfall auch nicht
gerade ... nüchtern war?“ 
    Es
war, als donnere jemand einen Gummihammer mit voller Wucht auf die Kamera. In
meinen Ohren rauschte es, der Kopf tat mir weh. Tränen stiegen mir in die
Augen. Aber ich hielt mich tapfer und ließ mir nichts anmerken. Die Kamera
verdeckte schützend mein Gesicht. 
    Als
Betty aus dem Zimmer ging, war ich erleichtert. Ich setzte mich auf den alten Ledersessel
und fing an, leise vor mich hin zu heulen. Dabei hätte ich nicht mal genau
sagen können, weshalb Bettys Eröffnung mich so tief getroffen hatte.
Letztendlich war ja egal, weshalb mein Vater sterben musste. Nichts konnte ihn
wieder lebendig machen.
    Eine
riesige Trauer stieg in mir auf und erfüllte mich vollständig. Ich heulte, wie
ich noch nie seit dem Tod meines Vaters geheult hatte. Ich glaube, noch nicht
mal seit dem meiner Mutter.
    Ich
hatte gar nicht gemerkt, dass Betty inzwischen wieder hereingekommen war.
Trotzdem erschrak ich nicht, als ich  plötzlich ihren Arm spürte, der sich
um meine Schulter legte. Sanft, aber entschlossen zog sie mich zu sich heran.
Ihre Hand strich über mein

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