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Sommersturm

Sommersturm

Titel: Sommersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Buettner
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Gesicht. 
    Ich
heulte so lange weiter, bis ich keine einzige Träne mehr in mir hatte. Betty
wich die ganze Zeit über keinen Millimeter von meiner Seite. Stumm streichelte
sie meinen Kopf, der nun in ihrem Schoß lag wie in einem Nest. Sie roch so gut.
Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so geborgen gefühlt. Und das
ausgerechnet bei Betty! Das Leben steckte wahrhaftig voller Wunder. Ich fand,
dass es manchmal nur drauf ankam, dass sie sich entfalten konnten.

 
    13

 
    Betty
passte gerade so ins Auto, dass das Dach ihre Frisur nicht eindrückte. Kunstvoll
hatte sie ihr halblanges Haar nach oben gesteckt. Es sah super aus. Sie
verstand was von Styling, das musste man ihr lassen.
    „Dass
deine Eltern dauernd gestritten haben, wusste ich nicht“, sagte Betty und legte
den vierten Gang ein. Sie ließ die Kupplung zu früh kommen und es krachte, aber
das schien sie nicht weiter zu stören. „Ich meine, dass sie sich bis zuletzt so
viel gestritten haben. Ich dachte immer, sie hätten so eine Art
Waffenstillstand geschlossen.“
    Draußen
dämmerte es bereits. Der Tag war unfreundlich gewesen und trüb. Ich klappte den
Sonnenschutz runter und warf einen Blick in den Spiegel. Meine Augen waren noch
immer etwas gerötet, aber ich traute mich schon wieder unter Menschen, auch
wenn ich nicht gerade scharf drauf war. Die Videokamera in meiner Hand gab mir
etwas Sicherheit. Ich redete mir ein, dass ich meinen Spaß auf der Feier schon
noch haben würde.
    „Bei
dem, was mein Vater die letzten Jahre so in sich reingeschüttet hat“, sagte ich, „ist es ein echtes Wunder, dass er nicht einfach
zusammengeklappt ist wie ein Gartenstuhl. Sogar seinen Job hat er bis zum
letzten Tag auf die Reihe gekriegt. Die Sauferei ist noch viel schlimmer
geworden nach Mutters Tod.“
    Mein
Vater war Abteilungsleiter in einer Bank gewesen, ein gut dotierter Posten.
    „Du
hast nie drüber geredet?“, fragte Betty und schaute kurz zu mir rüber. Sie war
perfekt geschminkt und sah toll aus.
    Stumm
schüttelte ich den Kopf.
    „Tut
es weh“, wollte sie wissen, „es jetzt zu tun?“
    „Bei
dir kann ich es“, sagte ich und es war mir noch nicht mal peinlich.
    „Manchmal
hätte ich ihn am liebsten zusammengeschlagen“, erzählte ich weiter von dem, was mir seit langem auf der Seele brannte. „Es hat mich so
wütend gemacht, wie er mit allem umgegangen ist. Mit sich selbst, mit meiner
Mutter und später mit der Erinnerung an sie. Auch mit mir, mit unserem Leben.
Er hat alles kaputtgemacht.“
     
Ich schwieg einen Moment.
     
„Zuletzt haben wir uns praktisch jeden Tag gefetzt. Manchmal hab ich ihn echt
gehasst.“
    „Hat
er dich ... geschlagen? Oder Rosa?“ Es fiel Betty sichtbar schwer, die Frage
auszusprechen.
    „Eigentlich
nicht. Aber einmal kam ich dazu, dass er meine Mutter so heftig geschubst hat,
dass sie hinfiel. Sie knallte  mit dem Kopf gegen den Türpfosten. Als ich
das Blut an ihrer Schläfe sah, bin ich ausgetickt.“
    „Das
heißt?“, fragte Betty.
    „Ich
hab ihm beide Fäuste in die Magenkuhle gerammt. Er klappte zusammen wie ein
Taschenmesser.“
    „Wie
alt warst du?“, wollte Betty wissen.
    „Zwölf.
Zu dieser Zeit muss sie schon schwer krank gewesen sein.“
    Mein
Mund war auf einmal ganz trocken, die Zunge klebte mir am Gaumen. Ich sah in
Bettys Augen, dass sie mit mir litt.
    „Wir
haben alle drei nicht mehr drüber gesprochen“, fuhr ich schließlich fort. „Aber
er hat ihr nie wieder was getan. Allerdings hatte er auch nicht mehr lange Zeit
dazu.“
    Wir
waren beim Haus von Martha und Kurt angekommen. Betty parkte rückwärts ein und
tickte dabei wie immer vorne und hinten die Autos an.
    Als
wir ausstiegen, fühlte ich mich merkwürdig leicht. Als hätte jemand ein paar
Eimer Schlamm aus mir herausgezogen. Es störte mich nicht, ja, es war sogar ein
gutes Gefühl,  dass Betty  nun meine Vertraute war. 
    „Eins
noch“, sagte sie und klingelte an der Haustür. Ich schaute sie an.
    „Findest
du es schlimm, wenn ich heute Abend etwas mehr trinke?“ Offenbar meinte sie
diese Frage ganz ernst.
    „Wenn
du das Taxi zahlst, kein Problem!“, sagte ich und grinste.
    „Wenn
es dich stört“, meinte sie, „rühr ich keinen Tropfen an.“
    „Mir
echt egal“, versicherte ich.
      
    Kurt
gehört zu den Menschen, die ich nur schwer verstehen kann, aber dass ihm fast
die Augen aus dem Kopf fielen, als er Betty die Tür öffnete, konnte ich
problemlos nachempfinden. Ihr Outfit kostete ihn seine ganze

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