Sommersturm
Betty ist seine empfindliche Stelle. Vielleicht hatte er Recht.
Dieser Gedanke erschreckte mich so sehr, dass ich ihn gleich wieder
beiseiteschob.
Bei
alldem fragte ich mich doch auch, was für ein Spiel eigentlich Betty mit mir
spielte. Es war klar, dass sie etwas vor mir verheimlichte. Aber was? Und
warum? Henry hatte gesagt, es gäbe eine Verbindung zwischen Betty und Luisa.
Was in aller Welt sollte das sein!
Merkwürdig
war auf jeden Fall, dass Betty in jener Nacht so aggressiv auf Luisa reagiert
hatte. Vielleicht kannten sie sich doch besser, als ich dachte. Und
dann war da noch Luisas seltsames Verhalten: War sie inzwischen heimlich
doch wieder mit Dean zusammen? Hatte sie überhaupt jemals wirklich etwas von
mir gewollt? Oder hatte sie mir nur etwas vorgemacht? Henry hatte so was
angedeutet. Zu den wenigen guten Dingen gehörte, dass ich wenigstens auf ihn
wieder zählen konnte. Das hatte er bei der Schlägerei mit Dean ausreichend
bewiesen.
Auch
der Gedanke an Kurt ließ mich nicht mehr los. Plötzlich hatte ich keine Geduld
mehr. Ich wollte, nein, ich musste wissen, was vorgefallen war zwischen
ihm und Betty. Ich spürte, dass die Antwort auf diese Frage möglicherweise der
Schlüssel war auf all die verwirrenden Fragen, die mich beschäftigten.
Es
war kalt an diesem Tag und windig. Auf den Wellen hüpften schneeweiße
Schaumkronen. Sand wehte durch die Luft. Es roch nach Wasser und Schlick, ein
bisschen nach totem Fisch und Seetang. Die Luft schmeckte salzig. Ich
betrachtete meine Gänsehaut als gehörte sie gar nicht
zu mir. Ich wollte nicht weg von hier ohne Klarheit darüber, was ich als
nächstes tun könnte. Ich war wild entschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu
nehmen.
Langsam
machte ich mich auf den Weg. Oben am Himmel rissen an einer winzigen Stelle die
Wolken auseinander und ein Sonnenfinger griff nach mir. Es ging mir besser. Ich
wusste nun, was ich als Nächstes tun würde, was ein gutes Gefühl war.
Diesmal
war es wichtig, dass Henry Kurt direkt erwischte. Deshalb musste er ihn an
seiner Arbeitsstelle anrufen und nicht Zuhause, wo Martha die Alleinherrschaft
über das Telefon hatte.
Kurt
arbeitete im Büro einer großen Versicherungsgesellschaft. Ganz sicher wusste er
von den anonymen Anrufen, die Martha während der letzten Monate bekommen
hatte.
Henry
hatte damit auf eigene Faust weitergemacht. Es machte ihm Spaß, Martha auf den
Zeiger zu gehen. Und ich selbst hatte gegen ein klein bisschen Rache nichts
einzuwenden gehabt.
Möglicherweise
waren aber gerade diese Anrufe schuld daran, dass Martha beim Jugendamt
dermaßen aufgedreht hatte. Sie stand unter Druck und brauchte ein Ventil.
Vielleicht vermutete sie sogar Betty hinter allem und wollte zurückschießen.
Da
Henry gar nichts Konkretes wusste, hatte er bei seinen Anrufen immer nur
Andeutungen gemacht. Verschwommene Bemerkungen über Kurt und Betty. Jetzt aber
war die Stunde der Wahrheit gekommen. Weil Kurt das schwächste Glied in der
Kette war, versuchten wir es über ihn. Als Henry aber vom Telefon zurückkam,
war er ratlos.
„Nichts
zu machen“, sagte er. „Der stellt sich einfach blöd und tut, als ob er von
nichts wüsste. Und wenn ich ein bisschen auf die Tube drücke, legt er
auf."
„Dann
musst du dich mit ihm treffen“, sagte ich.
„Wenn
ich ihm das vorschlage“, meinte Henry, „legt er garantiert auch wieder auf.“
„Du
drohst“, sagte ich grinsend, „dich mit seiner Frau zu treffen. Wetten, das
wirkt?“
Henry
zögerte kurz, willigte dann aber ein. Er hatte Blut geleckt.
„Eine
Bedingung habe ich aber“, sagte er.
„Und
die wäre?“
„Du
bist bei dem Treffen dabei.“
„In
Ordnung“, sagte ich. „Ich bin dabei.“
18
Wir
hatten Ferien. Und es war nicht einfach, Luisa zu finden. Ihre Mutter sah mich
an wie das siebte Weltwunder, als ich nach ihr fragte. Sie behauptete, sie
wisse nicht, wo ihre Tochter sei.
„Sie
ist nicht oft zu Hause in der letzten Zeit“, sagte sie resigniert. „Vielleicht
treibt sie sich wieder mit diesem Dean herum.“
Ihr
Blick fügte deutlich hinzu, dass sie noch weniger entzückt gewesen wäre, hätte
Luisa mich auserwählt. Doch da war auch noch etwas anderes in ihrem
Gesicht. Furcht? Aber warum hätte sie sich vor mir fürchten sollen? Jedenfalls
schien sie froh, als sie die Tür wieder zumachen konnte. Als ich mich am
Gartentor noch einmal umwandte, sah ich, wie sich im Fenster eine Gardine bewegte
und winkte freundlich. Ein
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