Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
nahe. Sie stehen uns so nahe wie Hunde und Katzen.
2007: Ich denke immer, man müßte es schaffen, Mammuts zu klonen. Aber die stehen dann herum wie die Kreuzung von Zebra und Pferd bei Hagenbeck.
Nartum Sa 14. Dezember 1991
Jetzt scheint die Stunde für Honecker zu schlagen. Er sitzt in der chilenischen Botschaft bei seinem alten Kampfgefährten und hofft, irgendwo aufgenommen zu werden. Nordkorea habe angeblich ein Flugzeug bereitgestellt, heißt es. Irgendeine Asyl-Großorganisation hat gesagt, wer diesem Mann Asyl gewährt, beleidigt alle Asylsuchenden.
Es ist nun Brauch geworden, daß die westdeutschen Kommentatoren die alten Bundesrepublikaner höhnisch«die Sieger»nennen. Nun, die Sieger sollten den Mann ächten, nichts über ihn schreiben, ihn einfach weg- oder abtun. Wie will man einen Menschen bestrafen, der noch 1988 politische Gespräche mit unserm Bundespräsidenten führte, wenn auch in einem schlecht sitzenden Anzug, am Rhein, am deutschen, deutschen Rhein?«Wie geht’s der Gattin?»Man sieht sie noch im Park am Rhein herumspazieren, im Gleichschritt. Was sie da wohl geredet haben. Anrührend war es, wie der alte Mann Gorbatschow willkommen hieß, am 40. Jahrestag. Er wollte«alte Zeiten»spielen, aber der Zug war längst abgefahren. Der Greis mit seiner Greisenriege auf der Tribüne beim allerletzten Vorbeimarsch der Massen, die anschließend protestieren gingen. Er zeigte Gorbatschow: Sieh mal den da, wie schön der demonstriert... Und daß Kohl ihm in Bonn beim Essen die Meinung sagte – da war der gut beraten, aber es hat überhaupt nichts genützt. Es war sogar unhöflich, angesichts einer vollbesetzten Tafel? – Und damals, wer hörte die Kommentatoren nicht noch, als Ulbricht abdankte, wie sie wackelten, ja, Honecker und Stoph, also, es könnte durchaus sein, daß die beiden einen Kurswechsel einleiteten, der eine habe da und da mal das und das gesagt. Und so weiter. Da machten sie aus nichts Zuckerwatte.
Gestern bei Dörfler sehr gemütlich, sehr gut gegessen, Tafelspitz mit Meerrettichsauce, hinterher Karamelpudding. Es war noch ein sehr diesseitiger Unfallchirurg eingeladen mit seiner Frau.«Die haben bestimmt noch keine Zeile von dir gelesen», sagte Hildegard.
Renate rief an, die französische Buchhandlung in Berlin hat noch nicht gezahlt, obwohl sie dort vier Wochen pro Tag bis zu zehn Stunden gewühlt hat. Opfer sogenannter Anfangsschwierigkeiten werden.
Buggert vom Hessischen Rundfunk hat geschrieben, er will das Stalingrad-Hörspiel machen. Er möchte auch den 3. Februar sehen, weil das ja der Stalingrad-Tag ist. Der gibt nun aber leider sehr wenig her. Die schlimmsten Schilderungen stammen aus der Zeit davor . Wenn der Vorhang fällt, ist eben Schluß der Vorstellung. Wir sehen noch den endlosen Zug der Gefangenen durch die Eiswüste. 5000 kamen zurück.
«Gibt es denn in unserem Kreis schon Aids-Kranke?»
«Ja, was denken Sie denn...?»
Da hat die Weltzeitenduhr mal wieder tick gemacht.
Der sehr leise sprechende Laugwitz und seine drei sehr lauten Jungen, heute nachmittag hier. Mitsamt der lieben Ina ein Bild für die Götter, aber eben sehr anstrengend und für mich nicht zu ertragen, da ich einerseits nichts verstand und mir andererseits die Ohren zuhalten mußte. Blinde werden freundlicher behandelt als Taube.
Gestern der Chirurg, er versteht nicht, was die 48 000 Elefanten in Afrika sollen, was die allein wegfressen! Seine Frau: Aber die sorgen dafür, daß irgendwelche Samen sich verbreiten.
Chirurg:«Trotzdem – 5000 genügen doch auch für die Touristen. »
Küßchen hier, Küßchen da.
Küßchen sind so wunderbar.
(Radio)
Nartum So 15. Dezember 1991
Weltarmut
Überbevölkerung
Atombombenmassen
Die unabwendbare Katastrophe
Ökokatastrophen
Armutssehnsucht
Aids
Das dollste Ding ist ja Aids. Wer nur die Gründe wüßte, weshalb diese Krankheit nicht unter die Seuchenbestimmungen fällt. Wenn ich Entsprechendes äußere, also Vergleiche mit TBC oder gar Typhus ziehe, werde ich niedergeschrien.
2007: Jeder Patient im Rotenburger Krankenhaus wird zwangsweise auf TBC geröntgt. – Aber Aids hat irgendwas mit Sozialismus zu tun, und daran darf man nicht rühren.
Laugwitz erzählte von seinen Nachbarn:«Der Ordnung halber weise ich Sie nochmals darauf hin...», hat der zu ihm gesagt.
Reihenhausbeobachtungen, man weiß ganz genau, was die einzelnen Leute treiben. Auf die Terrasse treten und nach rechts und links
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