Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Produktion vor. Längere Geldgespräche mit Bank. Wir wollen doch lieber festes Sparen, als diese halsbrecherischen Kurssachen zu machen. Einen Teil halten wir zurück, um für Rostock oder für ein Appartement in Berlin was zur Hand zu haben. Wir erwägen auch, unseren Landbesitz zu arrondieren. Hier wird was angeboten in der Nähe, vier Morgen. Da sollte man zugreifen.
Ich hörte zum Tee César Franck, Klavier und Violine.
Lit.: Kunze, wirklich unerträglich. – Daß der Denunziant Böhme noch frei herumläuft, ist allerdings nicht zu verstehen.
Einladung nach Wismar, von der«Tele-Illustrierten», die mich allmählich als Hausautor verwendet, leider ohne entsprechendes Honorar. Ich soll dort für den Denkmalschutz sprechen, angesichts der St.-Jürgen-Ruine. Macht mir Spaß, freu’ ich mich darauf. Nichts lieber als das!
Klaus Stiller. Ich hatte ihm geschrieben, ob er mit mir nicht eine Lesung im SFB machen kann, aus«Sirius». Er belehrte mich, daß ich das schon getan hätte. – Er äußerte sich ziemlich abfällig über die Ostleute. Die kämen und forderten nur. Ein Trabi = 34 Westautos, soviel Qualm. Traurig, aber vermutlich wahr.
Noch zum Seminar: Ein Feinmechaniker kam in«ewigen Schuhen», riesigen Skistiefeln. Eines der Rostocker Mädchen machte Knicks beim Guten-Tag-Sagen. Der Ostberliner meinte, er komme sich hier vor wie im Paradies. Daß die Hunde zwischen uns herumgelaufen sind, hat ihm besonders gefallen.
Daß zwei der Rostocker Schüler vor der Zeit abreisten, hat mich beleidigt. Kriegen alles umsonst und verschwinden einfach, ohne sich zu verabschieden.
Ein Huhn vorne nackt im Stall gefunden. Hildegard meint, Simones Hund Hacky habe das verbrochen. Simone bestreitet das. Hildegard sagt, die Schlapphut-Else (um sie handelt es sich) habe ihr das erzählen wollen. Sie steht mit ihren Hühnern auf du und du.
Viel Post auf«Sirius». Täglich mehrere Briefe.
Ich dachte heute, man müßte Mutterboden kaufen und auf unser Land streuen. Aber bei der Gelegenheit handelt man sich dann Franzosenkraut und Quecken ein. -«Franzosenkraut»? Ist das politically correct?
Der Kölner Antiquar beschwerte sich, ich hätte ihm nur ein kleines Ms. für sein Poesiealbum geschickt, das doch 800,- wert sei. Nun, ich hatte ihm das Ms. meiner Rostocker Rede geschickt, Januar’90, fünf Blätter handschriftlich. – Ein Blatt Rühmkorf wurde bei Stargard für 320,- versteigert. – Ich hab’ ihm das erklärt. Nichts geht verloren. Alles kommt wieder.
Oldenburg: Ein Student hatte heute sein Referat auf Band genommen, mit Musik, und spielte das ab. Mal was anderes. Meine Wirtsleute, die Ali-Baba-Türken in Oldenburg, sind verbittert über Hussein. Es wär’ doch alles so schön gewesen? Der Mann sei verrückt. – Sie erzählten mir, daß ihre Verwandten weit vom Schuß leben.
Zur Wiedervereinigung bei Ali Baba ein Student:
Ich hatte das seltsame Gefühl, Zeuge eines geschichtlichen Ereignisses gewesen zu sein, wie Kennedys Ermordung. Ein historischer Augenblick. Meine Schwester an der Grenze hat mehr mitgekriegt. Am Anfang war sie begeistert, und das hat sich dann gelegt.
Nartum Di 15. Januar 1991, Sonne, kühl
I9I9: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet
Sehr (zu) langer Besuch von der«Neuen Berliner Illustrirten». Von 11 bis 16 Uhr! Ich wurde u. a. gefragt, was ich gegen die PDS habe. Von Bautzen wollten sie nichts wissen, das tat nichts zur Sache.
Nachmittags geschrieben. Dann sehr lange TV geguckt, die Entwicklung des Golf-Konflikts. Irgendwie hat man das Gefühl, daß die Amis da dummes Zeug machen. 79% seien dagegen (in Germany). Ich bin auch dagegen, aber ich stimme zu.
Brief von Raddatz. Er schreibt immer mit dünnem Filzstift auf gelblichem Papier und extra fahrig. Ich soll wohl denken, er hat viel zu tun. Es gibt immer Menschen, die haben viel zu tun. Gott segne sie.
Gore Vidal, auf die Frage:«Welche geschichtliche Gestalt verachten Sie am meisten?», antwortet: Jesus Christus (FAZ-MAGAZIN). Am liebsten möchte er das Universum sein. – Das ist nicht originell, das ist albern.
Nartum Mi 16. Januar 1991
TV: Merkwürdige Mitteilungen: daß die amerikanischen Soldaten Stiefel für den Urwaldkrieg trügen, mit Löchern, damit das Wasser, was eingedrungen ist, ablaufen kann. Und in diese Löcher rieselt nun der Sand. Typische Militärbeschaffungssachen: So wie die MPs der deutschen Soldaten wegen des langen Magazins nicht auf den
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