Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
amerikanische Soldaten ihr Leben lassen werden, dazu wer weiß wie viele Iraker, darunter Frauen und Kinder. Und das alles wegen des verrückten Saddam Hussein, der plötzlich größenwahnsinnig geworden ist.
1939 fragten die Franzosen sich:«Mourir pour Dantzig?»Der alte Streit, ob Menschen Geschichte machen oder umgekehrt, ist nun wohl entschieden. Ein Verrückter, ein Amok-Mann, hat sich hier als politischer Analphabet betätigt. Und die Deutschen? Schon rennen sie auf den Straßen herum und schreien:«Kein Blut für Öl!»Als ob es hier um Öl ginge. Es ist schrecklich, einem fanatischen Volk anzugehören, fanatisch und verlogen. Verkitscht. Und doch eigentlich so liebenswert.
Und dann Litauen, das Panzerkanonenrohr, das die armen Leute dort unter der Nase kitzelt. In Moskau stehen die Idioten immer noch am Lenin-Denkmal an, und auf der anderen Seite demonstrieren Russen für die Litauer, mit hochgehaltenem Abgeordnetenausweis, damit man sie nicht verprügelt.
In Talk-Show-Runden wird das alles ausführlich bekakelt. Domröse hat’s auf den Punkt gebracht, die dick gewordene Kelly kreischte in die Gegend, Ulla Hahn lächelte weise. Und einer sagte es:«Ein Herz für Litauen sollten wir haben.»
Mal sehen, ob morgen einer für Litauen demonstriert.
Der Sportreporter Uli Voigt, bevor er über Eishockey reportierte, hat’s gesagt: Bevor er anfängt, möchte er doch auf Litauen und Nahost hinweisen. Ehrenwert.
Arafat im Vorzimmer Husseins, wie ein Geier, der auch was abhaben möchte. Der häßliche Arafat, unrasiert wie immer.
Lit.: Kunze hat ein Buch -«Deckname Lyrik»- veröffentlicht über seine Stasi-Bespitzelung. Vor lauter Pünktchen nicht lesbar.
Er hat das zitierte Amtsdeutsch der Staatssicherheitsbeamten verbessert, weil er deren schlechtes Deutsch den Lesern nicht zumuten will, schreibt er.
Wenn schon enthüllen, dann aber bitte auch Namen nennen.
Nartum Mo 14. Januar 1991, Sonne
Oldenburg: Über die Aufsichtspflicht und über Lob und Tadel. In meinem pädagogischen Lexikon befinden sich 20 Seiten über Strafen und nur eine Seite über das Lob.
Groteske Gerichtsurteile las ich aus dem Schulverwaltungsblatt vor. Der Lehrer ist praktisch überall und immer«dran». Ich übernahm in der Quabben-Schule sämtliche Außenaufsichten für alle Lehrer, um das Gequatsche im Lehrerzimmer nicht mit anhören zu müssen. Außerdem wollte ich mich der feindseligen Stimmung, die von einer intriganten Lehrerin ausging, nicht aussetzen. Draußen die frische Luft, und immer Kinder um mich rum. Am Fenster manchmal der Rektor, was ich da eigentlich mache: läuft da immer hin und her? Meine Vorschläge, den Hof etwas abenteuerlicher zu gestalten, wurden nicht diskutiert.
2005: Es hakten sich immer und meist dieselben Kinder bei mir ein, wenn ich da meine Runden drehte. Besonders ein Mädchen, 11 Jahre alt, das gar keinen Unterricht bei mir hatte. Voriges Jahr erschien sie hier, und ich fragte sie, warum sie sich immer bei mir eingehakt hätte?«Sie hatten so einen schönen weichen Pullover an», sagte sie.
Die eine Lehrerin behauptete, sie schläft nie. Nie schläft sie, da konnte man sagen, was man wollte. Nie schlafen, das geht doch überhaupt nicht. – Die Kollegen redeten über mich, wenn ich auf dem Hof kreiste.
«Bild-Zeitung»: Wann geht’s los?
Ich zu«Bild»: In dieser Woche noch!
«Welt»: Was ich zum Baltikum meine?
Ich zur«Welt»: Aufruf der Schriftsteller an Gorbatschow. Ihn fragen, ob er mit seinen Maßnahmen gegen das Baltikum alles aufs Spiel setzen will? Nobelpreis, Ruf, Demokratisierung? Und die Letten, Esten und Litauer wurden unter Stalin nach Sibirien transportiert und kamen nie wieder?
Gestern kam ein Ehepaar. Ich ging spazieren im Garten und sah sie draußen herumstreichen. Es waren«Sirius»-Leser. Ich zeigte ihnen das Haus, und sie repetierten ihr«Sirius»-Wissen.
Heute machte ich mir Kaffee. Da sagt Frau Meyer:«Das können Sie? Dann sind Sie ja gar nicht so verwöhnt!»
Das Radio ist voll von Meldungen über Nahost und Litauen. Letzteres geht mir näher. Hat sich jetzt etwas beruhigt. Gorbi hat von nichts gewußt, sagt er. Truppen haben sich zurückgezogen.
Die amerikanischen Soldaten tragen jetzt Helme, die den alten deutschen ähnlich sehen. Warum nicht gleich so?
Renate war da, erzählte von der französischen Buchhandlung in Berlin, in der sie beschäftigt ist. Einer ihrer Freunde besuchte uns und führte einen sauren Film aus seiner
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