Somniferus
sich der
Filialleiter zu sagen. »Sie können sowohl über das
Sparbuch als auch über das Girokonto Ihres Onkels
verfügen.«
Ich entschied mich zunächst für das Konto, denn ich
wollte die schöne, hohe Summe auf dem Sparbuch noch nicht
anbrechen. Ich erhielt das Geld, man wünschte mir alles Gute und
bald stand ich wieder auf der Kurfürstenstraße.
Am liebsten hätte ich in den Eifeler Bauernstuben gegessen,
doch es war bereits Nachmittag und das Restaurant war bis zum Abend
geschlossen. Also blieb mir nur der Imbiss unten im Ort.
Ich bestellte eine Gyros-Pita (auch hier hatte die moderne
Esskultur Einzug gehalten) und während die junge Frau hinter der
Theke das Fladenbrot wärmte, fragte sie mich: »Im Urlaub
hier?«
»Nein, ich habe im Ort ein Haus geerbt. Ich weiß noch
nicht, ob ich für immer hier bleiben werde.« Dabei hatte
ich mich eigentlich schon entschieden. Nach Köln und in meine
stickige Dachwohnung brachten mich keine zehn Pferde mehr
zurück, solange auch nur noch ein Euro auf dem Sparbuch meines
seligen Onkels lag.
»Sie Glückspilz!« Die junge Frau rieb sich die
Hände an der Schürze und säbelte dann Fleisch vom
Drehspieß ab. Dabei beugte sie sich zur Seite und fuhr fort:
»Sie werden sehen, dass es hier sehr nett ist, wenn man Ruhe,
gute Luft und die Natur mag. Wenn nicht, kann es einem allerdings
ganz schön auf den Wecker gehen.«
Ich vermutete, dass sie eher zur zweiten Kategorie
gehörte.
»Welches Haus haben Sie denn geerbt?«
»Das von Jakob Weiler in der Burgstraße. Er war mein
Onkel.«
Beinahe wäre ihr das Messer aus der Hand gefallen. Mit einer
geschickten Drehung fing sie es auf, legte es dann beiseite und
wandte sich mir zu. »Doch nicht das von dem alten
Priester?«
Mir wurde langsam unwohl zumute. »Doch, genau das. Stimmt
etwas nicht damit?«
»So würde ich das nicht ausdrücken. Aber Sie werden
schnell merken, dass Ihr Herr Onkel bei uns nicht sehr beliebt war.
Ich wusste gar nicht, dass er gestorben ist. Aber jetzt, wo Sie es
sagen, fällt mir auf, dass ich ihn schon lange nicht mehr
gesehen habe. Er kam nämlich oft hier vorbei und er hat immer
Blicke in meinen Imbiss geworfen, als wolle er mich mitsamt der
ganzen Ladeneinrichtung fressen. Keine Ahnung, warum. Vielleicht war
ihm ein Imbiss zu modern.«
»Ihm war eigentlich alles zu modern, was aus dem zwanzigsten
Jahrhundert stammt, um vom einundzwanzigsten ganz zu schweigen«,
erwiderte ich.
Ich nahm mein Essen mit nach Hause, setzte mich an den alten,
schwarzen Küchentisch, der mir noch wohl vertraut war, und
mümmelte genüsslich meine Pita. Sie schmeckte hervorragend;
das Fleisch war zart, die Soße würzig, das Brot knusprig.
Bei dem Gedanken daran, was Onkel Jakob wohl sagen würde, wenn
er mich mit diesem Imbissessen in seiner Küche sehen
könnte, musste ich lächeln. Aber sofort fühlte ich
mich ertappt. Ich hatte tatsächlich den Eindruck, als lauere der
alte Priester in einer Ecke hinter mir und warte nur darauf, mich zu
bestrafen. Unwillkürlich drehte ich mich um.
Natürlich war da niemand.
Schnell aß ich den Rest auf und warf die nach Knoblauch
duftende Tüte in den Abfalleimer, in dem sich nicht einmal ein
Papierschnipsel befand. Mein Onkel hatte vor seiner seltsamen
Verzweiflungstat offenbar gründlich aufgeräumt. Vielleicht
würde der Duft des Knoblauchs den merkwürdigen Geruch von
Weihrauch, Moder und warmem Staub vertreiben.
Nach dem Essen machte ich einen Spaziergang. Ich erinnerte mich
daran, wie ich als Kind gern den Lieserpfad entlanggegangen war,
diesen wurzeldurchsetzten, schmalen Weg, der sich am Hang der steil
zur Lieser hin abfallenden Berge von Daun über Manderscheid bis
nach Wittlich zog. Ich hatte die knorrigen Eichen und moosbewachsenen
Buchen so gern gehabt, die im Sommer einen erfrischenden Schatten
spendeten. Jetzt, im späten Frühling, war die Luft noch
nicht sehr warm – in den letzten Wochen hatte es
überdurchschnittlich viel geregnet und es war sehr kalt gewesen
–, aber trotzdem war es ein angenehmes Gefühl, als ich auf
dem Lieserpfad in Richtung Wittlich den lichten Wald betrat.
Immer wenn ich hier mit meiner Mutter und Onkel Jakob spazieren
gegangen war, hatte ich mich von Mutters Hand losgerissen und war
vorausgelaufen, bis ich sie und ihren Bruder nicht mehr sehen konnte.
Dann hatte ich erst einmal tief durchgeatmet. Hier draußen war
alles Dunkle, das aus meinem Onkel zu strömen schien, fort und
vergessen. Die Schatten hier waren wohlwollend,
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