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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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sie
verblüfften mich durch handschriftliche Anmerkungen, die
eindeutig von meinem Onkel stammten; ich kannte seine steile, mit
vielen krallenhaften Haken verzierte Schrift nur allzu gut. Diese
Anmerkungen waren keineswegs ausschließlich philologischer
Natur; sie bezogen sich auch auf gewisse Eigenarten der dargestellten
Götter, die sich nicht aus dem Text ergaben, sowie auf
praktische Details zu den einzelnen Riten, die darauf schließen
ließen, dass derartige Riten von dem Verfasser der Anmerkungen
tatsächlich durchgeführt worden waren! Vor diesem
Hintergrund erhielten die vagen Andeutungen der Frau Junk eine ganz
neue Bedeutung.
    Mein Onkel wurde mir immer unheimlicher.
     
    * * *
     
    Es fiel mir zunächst nicht leicht, mich einzuleben. Zuerst
hatte ich Schwierigkeiten mit meinen Nachbarn, die mich verstohlen
beobachteten, wenn ich mich auf der Straße zeigte. Offenbar
wollten sie herausfinden, ob ich genauso abgedreht wie mein Onkel
sei. Als sie aber erkannten, dass ich nicht viel mit ihm gemeinsam
habe, wurden sie aufgeschlossener und hielten schließlich sogar
manchmal auf der Straße oder oben in einem der beiden
Supermärkte am Ortsausgang nach Wittlich ein freundliches
Schwätzchen mit mir. Es hatte für mich den Anschein, als
atme die ganze Burgstraße auf. Ich selbst begann mich an mein
neues Heim zu gewöhnen, und nachdem ich einige Tage lang gut
durchgelüftet hatte, verschwand auch langsam der seltsame Geruch
nach Weihrauch, Staub und Moder. Das Wetter wurde immer besser und
Manderscheid badete in einem blütenreichen Frühling, der
alle schwarzen Wolken verscheuchte.
    Ich dachte kaum mehr an Köln, interessierte mich nicht einmal
mehr dafür, ob ich Post von einem Verlag bekommen hatte oder
nicht. Ich lebte nur noch im Hier und Jetzt. Die anfänglichen
Irritationen wichen immer weiter zurück; ich machte mir nur noch
wenige Gedanken über meinen bösen alten Onkel und seine
skurrilen Vorlieben und freundete mich mit meinen Nachbarn und dem
sehr netten und hilfsbereiten Ehepaar Eckfeld aus der Pension
gegenüber an, das mir dabei half, die Scheune zu
entrümpeln. Wir fanden alte, vermoderte Schränke sowie
Bretter und Bohlen, die rostrote Flecken besaßen und meine
Gedanken wieder auf die ungeheuerlichen Mutmaßungen der Frau
Junk lenkten. Doch ob es wirklich Blutflecken waren, ließ sich
nicht mehr feststellen. Herr Eckfeld, der die Bretter in den
bestellten Container warf, ließ es sich nicht anmerken, ob ihm
diese Flecken aufgefallen waren.
    Als die Scheune leer war, war mein Glück fast vollkommen. Den
verstaubten Schlitten, der immer noch an der Wand hing, behielt ich
jedoch. Zum Dank für Herrn Eckfelds Hilfe schenkte ich ihm
einige Flaschen Trockenbeerenauslese, die wir am nächsten Abend
gemeinsam mit seiner Frau leerten. Ich fühlte mich schon fast
wie ein richtiger Manderscheider.
    Dieser Zustand hielt genau eine Woche an.
    Dann wurde mir auf brutale Weise deutlich gemacht, dass man einem
Jakob Weiler nicht entfliehen kann – auch dann nicht, wenn er
tot ist.

 
4. Kapitel
     
     
    Der Ort, an dem meine Träume zerbrachen, hätte kaum
prosaischer sein können. Am späten Nachmittag hatte ich mit
meinem Sparbuch die Schalterhalle der Manderscheider Sparkasse
betreten und wollte eine kleinere Summe abheben. Ich hatte mir genau
ausgerechnet, dass ich mir in der Tat nie wieder Geldsorgen machen
musste, wenn ich es schaffte, von dieser Summe einen Monat lang zu
leben. Ich reichte das Sparbuch, den Auszahlungsschein und meine
Vollmacht dem Sparkassenangestellten, der mit alldem seinen Computer
fütterte. Es ratterte und quietschte und er schaute lange auf
den Bildschirm, als gäbe es dort etwas überaus Spannendes
zu sehen, das mir leider verborgen blieb. Aber anstatt mir das Geld
zu geben, verschwand er wieder einmal im Büro des
Filialleiters.
    Mir wurde unwohl zumute. Was stimmte denn nicht? Ich hatte doch
aufgrund meiner Papiere das letzte Mal problemlos mein Geld
erhalten.
    Der staubige, grauhaarige Filialleiter kam hinter seinem
Untergebenen aus dem Büro und begrüßte mich so
herzlich, wie es ihm möglich war.
    »Gibt es irgendwelche Probleme?«, fragte ich sofort.
    »Ich fürchte, ja.«
    »Welche?«
    »Sie müssen wissen, dass mir ein solcher Fall in meiner
ganzen Laufbahn noch nicht vorgekommen ist«, sagte der
Filialleiter ausweichend. »Ich bin ein wenig ratlos.«
    »Was ist denn mit dem Sparbuch nicht in Ordnung?«,
wollte ich wissen.
    »Grundsätzlich ist damit alles in

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