Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
er konnte zur Wöhrder Wiese. Ein Blick zurück, Maurice folgte ihm.
»Warte doch mal«, rief er, doch Sebastian spürte, dass keine Zeit mehr blieb.
Als er über die Brücke fuhr, spähte er nach einer Menschentraube, dort, wo er die Afghanin fast angefahren hatte. Alles schien ruhig.
Da sah er die Afghanin und ihren Sohn, der gerade dabei war, die Flasche zurückzufordern, auf die Art und Weise, wie Sebastian es in seiner Vision gesehen hatte. Er musste einem schlendernden Pärchen ausweichen, der Junge setzte zum Trinken an.
»Nein!«, rief Sebastian, der noch wenige Meter zum Jungen hatte. Die Limo schwappte in der Flasche und die flatternde Wespe drohte in den Mund des Jungen geschwemmt zu werden.
»Nein! Nicht!«, schrie Sebastian. Die Afghanin erschrak, die Leute auf der Wiese schauten verdutzt, doch der Junge ließ sich nicht beirren. Sebastian streifte ihn und schlug ihm die Flasche aus der Hand. Ein Hund querte seinen Weg, mit nur einer Hand musste er ausweichen. Er schlingerte, kam ins Torkeln und krachte gegen eine Parkbank. Beim Aufprall schürfte er sich die Hand auf. Er schaute sich nach dem Jungen um und wollte sich vergewissern, dass der Junge die Wespe tatsächlich nicht verschluckt hatte.
Maurice kam hinzu und half Sebastian auf die Beine. »Bist du nicht ganz dicht? Was war denn das für ’ne Aktion?«
Der Junge weinte, während er sich an die Brust der Afghanin drückte. Sie strafte Sebastian mit bösen Blicken. Erst als er die Plastikflasche am Boden liegen sah und die Wespe in der Limo entdeckte, war ihm leichter ums Herz.
»Hey? Erde an Sebi!«
»Hast du mal ein Taschentuch?«
Maurice reichte ihm eins. Sebastian putzte sich den Dreck aus der Wunde. Die Afghanin zog mit dem Jungen schimpfend von dannen.
»Die hetzt dir ihre Sippschaft auf den Hals«, mutmaßte Maurice. Dann würde ihm das Schicksal aber einen bösen, bösen Streich spielen, dachte Sebastian. Er rettete dem Bengel das Leben und dafür würde ihm der Hals aufgeschlitzt.
Maurice hielt Sebastian das Buch ‚Ruhelose Geister‘ hin.
»Soviel zum Thema unterdrückte Aggressionen.«
Sebastian ging nicht darauf ein.
»Naja, auf die Erklärung bin ich gespannt.«
»Ich hab ... naja …«
Maurice reichte ihm ein weiteres Taschentuch.
»Du wirst mich für verrückt erklären ...«, fing Sebastian an.
»Du bist verrückt.«
Sebastian sah zu der Limoflasche, die dort am Boden lag. »Glaubst du, dass man Dinge voraussehen kann?«
»Nein, ich glaub nicht, dass man das kann. Du?«
Sebastian ließ das so stehen und begutachtete sein Fahrrad. Man sah ihm an, dass ihm der Anblick des verbeulten Fahrrads schmerzt.
Es achterte so stark, dass er es nicht mehr fahren konnte. »Scheiße.«
»Geh nach Hause und schlaf dich aus. Genieß deine freien Tage«, empfahl Maurice.
Sebastian steckte sein Buch ein und nickte.
»Du hast wahrscheinlich recht.« Er schob mit dem achternden Fahrrad los.
***
Als Sebastian mit sich allein war und die letzten Meter zu seiner Wohnung hinter sich gebracht hatte, grübelte er über all das nach, was sich in den letzten Stunden abgespielt hatte. Er wusste nicht, was da gerade vor sich ging. Entweder wurde er verrückt oder aber er konnte tatsächlich in die Zukunft schauen. Und wenn er das konnte, wollte er das überhaupt? Ständig wäre er doch nur damit beschäftigt, die Zukunft zu verändern, gefiele sie ihm nicht. Andererseits fühlte es sich gut an, ein Unglück abzuwenden. Der Junge verdankte ihm das Leben, auch wenn er das nicht realisiert hatte. Aber der Applaus spielte für Sebastian keine Rolle, ihn befriedigte es, Gutes getan zu haben. Und er musste lange überlegen, wann er so eine Befriedigung zuletzt gespürt hatte. Als er seine Wohnung erreicht hatte, musste er sich eingestehen, dass er wohl noch nie so etwas empfunden hatte. Sein Leben war ein einziges Vegetieren seit der Sache mit seiner Mutter. Wenn es also wirklich so war, dass er in die Zukunft schauen konnte, dann müsste er sich eventuell nicht nur damit anfreunden, es war vielleicht die Chance, seinem Leben einem Sinn zu geben. Schluss mit den Gedankenspielereien. Wahrscheinlich war alles nur ein Zufall und seine Fantasie spielte ihm Streiche. Er wollte endlich seine freien Tage genießen.
Sebastian legte seine Schlüssel in eine Schale bei der Kommode ab und das Buch über die ruhelosen Geister. Dann zog er sein Handy aus der Hosentasche und entschloss sich, bei Linda anzurufen. Während er darauf
Weitere Kostenlose Bücher