Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
aufhören soll.
Dass es kitzelt?
Es war kein Messer, sondern ein Feuerzeug. Vlado steckte es zurück, während der Maler sich umdrehte und lächelte. Sie schüttelten sich die Hände.
»Seit wann bist du hier?«, fragte Vlado.
»Bist du mir böse, weil ich mich noch nicht gemeldet hab?«, entgeg¬nete der Maler und legte den Pinsel ab. »Ich wollte dich überraschen.«
»Naja, hättest schon etwas sagen können«, murmelte Vlado.
»Tut mir leid. Unser letztes Telefonat war nicht gerade von Harmonie geprägt.«
»Das Thema lassen wir jetzt lieber, bin in Eile.«
»Ich hab dir dazu was gemalt und mir eine Geschichte ausgedacht.«
»Das da?«, wollte Vlado wissen und betrachtete das Bild. »Nein. Eines mit einem Bergadler.«
Petr beugte sich hinüber zur Beifahrertür, zog sie zu. Er konnte ohne¬hin nicht folgen, es war anscheinend das Gespräch zweier enger Freunde. Ungeduldig drehte er die Daumen, die Minuten verstrichen, langsam wurde es knapp mit dem Zug. Petr beugte sich über das Arma¬turenbrett. Der Maler winkte ihm zu. Petr schreckte in den Sitz zurück, es war ihm peinlich, vielleicht wegen der Antipathie, die er diesem Typen gegenüber empfand.
Vlado kam gelaufen, riss die Autotür auf. »Jetzt aber schnell.«
»Wer war das?«, fragte Petr beiläufig und startete den Wagen. Er würgte erneut den Motor ab. Vlado schlug eine Hand vors Gesicht, durch die gespreizten Finger sah er zu dem Maler, der den Daumen hob. Petr tat so, als hätte er das nicht gesehen und fuhr los.
»Das war mein bester Freund. Ondrej. Ein genialer Maler und ein toller Typ. Wenn der lustig ist, packt er seinen Krempel und haut für ein paar Monate ab, einfach so.«
»Und woran malt er gerade?«
»An einem Tautropfen, der sich von der Spitze eines Lindenblattes löst. Zwei rauchende Schornsteintürme spiegeln sich darin.«
»Aha.«
»Es symbolisiert die Angst der Linde vor dem Tod.«
»Na gut.« Mehr wollte Petr gar nicht wissen.
Vlado kratzte an der Fensterscheibe. »Ich hab den Kerl schon seit Jahren nicht mehr gesehen«, sagte er mit nachdenklicher Stimme und erzählte von Ondrej wie von einer Sagengestalt. Es schien, als hätte er vergessen, was ihn zuvor verärgert hatte. Er sprach so bewundernd von diesem Freund, dass in Petr eine Eifersucht aufstieg, die er zu verbergen versuchte, indem er nicht kommentierte, was er hörte. Wahrscheinlich wäre jedes seiner Worte ohnehin in den Lobeshymnen über diesen Typen untergegangen.
Vlado knallte den Kofferraum zu und schulterte die Reisetasche. Er teilte Petr mit, wann er ihn hier wieder abzuholen hatte und verschwand durch die Bahnhofstür.
»Wenigstens für die Fahrt hättest du dich bedanken können«, mur¬melte Petr und bog in die Straße ein. Parkende Autos säumten sie bis zur Bahnunterführung, dahinter ragten Industrieschornsteine in den Himmel. Jungs warfen sich auf dem Gehweg einen Ball zu.
»Was soll eigentlich der ganze Mist?« Petr trat auf das Gaspedal. Das Bild seines Vaters, der eine Wodkaflasche umkrallte, türmte sich vor ihm auf. Der Schraubverschluss fiel zu Boden, als Mutter endgültig die Tür hinter sich ins Schloss zog. Dann drängte Vlado vor. Hochmütig streckte er seine Brust heraus. »Petr! Hilf mir mal. Jetzt beeil dich doch. Mach dich nützlich«, rief er. »Was? Du bist auf Ondrej eifersüchtig? Der dumme, fette Petr darf froh sein, wenn wir ihn überhaupt beachten.«
Petr fühlte, dass Vlado von ihm nie so sprechen würde wie von die¬sem Ondrej.
Eine scheußliche Erinnerung überlappte alle anderen Bilder. Seine Mutter, im heftigen Wortgefecht mit seinem Vater. »Dieser Nichtsnutz! Bricht einfach die Lehre ab. Aus dem Bengel wird nie etwas.«
»Aber wenn es ihm doch nicht gefällt«, entgegnete sie ihm energisch. Nur bruchstückhaft erinnerte sich Petr an den weiteren Verlauf des Streits, dem der Vater ein abruptes Ende gesetzt hatte, indem er Mutter ohrfeigte. Davon sollte sich die Ehe nicht mehr erholen.
Ein Hupen zerriss Petrs Gedankenbilder. Er war auf die Gegen¬fahrbahn geschlingert. Aus dem Dunkel der Unterführung kam ein Lastwagen mit einem wild gestikulierenden Fahrer gebraust. Petr zog das Lenkrad hart nach rechts, verlor die Kontrolle über den Wagen und stieg mit aller Kraft auf die Bremse. Die Reifen kreischten, der Wagen schlidderte auf einen Brückenpfeiler zu und donnerte gegen den graffitibeschmierten Beton. Petr kippte nach vorn, schlug mit dem Kopf gegen das Lenkrad und fühlte ein warmes Rinnsal die Stirn
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