Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
hinunter¬laufen. Ein Zittern ging durch die Brücke, als ein Zug hinüberrauschte, dann verlor er das Bewusstsein.
***
Alena stieg die Treppen zum ersten Stock hoch, sie würde sich für eine Stunde schlafen legen. Die Schulter tat weh vom langen Tragen der Tasche. Vorlesungen konnten anstrengend sein, Formeln schwirrten in ihrem Kopf herum. Auf den üblichen Stadtbummel hatte sie keine Lust, sie musste sich geradezu zwingen. Es war vier, Vlado also schon nach München unterwegs, erfreulicherweise. Bestimmt hatte er angerufen oder war vorbeigekommen, um sie zum Mitkommen zu überreden.
Eine Asiatin kam ihr im Flur entgegen, grüßte sie in einer fremden Sprache. Alena nickte und kramte die Wohnungsschlüssel aus der Tasche, doch die Tür stand bereits offen. Magdalena prüfte vor dem Garderobenspiegel ihre Haare. Ein Streifen blasser Haut war zwischen Hemd und Jeans zu sehen.
»Ich habe gesehen, dass du kommst«, sagte sie und drehte sich mal auf die eine Seite, mal auf die andere. »Bin auf dem Sprung.«
»Mit Petr verabredet?« Alena drückte die Tür zu.
»Ich will ihn überraschen. Er dürfte Vlado längst abgeliefert haben.«
Vlado. Von dem wollte sie ein paar Tage nichts mehr hören. Sie legte die Schlüssel auf der Garderobe ab. Magdalena roch stark nach Laura Biagiotti. Alena drückte sich die Nase zu. »Hast du in dem Zeug gebadet?«
Magdalena lächelte. »Ich kauf dir ein neues, versprochen.«
»Brauchst du nicht. Viel Spaß mit deinem Petr.« Alena zog sich die Schuhe aus.
Magdalena schob das Kinn nach vorn und betrachtete mit mürrischer Miene den Pickel unterhalb der Nase. »Du blödes Ding hast da nichts verloren. Geh weg.«
Alena zwickte sie in die Taille. »Bin ziemlich kaputt und geh’ ein bisschen schlafen.«
»Ach so. Ja, dann.« Wenn Magdalena auf diese Weise lächelte, wusste Alena, dass sie etwas ausheckte.
»Was?«
»Ach nichts.«
»Sag schon!«
»Naja. Du gehst schlafen, da kann ich es mir sparen.« Sie streichelte den Pickel mit einer Strähne.
»Was kannst du dir sparen?«
»Dir etwas auszurichten.«
»Von Vlado?«, fragte Alena müde.
»Nein.« Magdalena warf die Strähne zurück und lächelte wieder auf diese neckische Weise.
»Von Ondrej?« Es rutschte Alena einfach so heraus, vielleicht etwas zu erfreut. Sie rieb sich die Nasenspitze.
Magdalena grinste.
»Grins nicht so doof und sag schon, was du mir ausrichten sollst.«
»Er meinte, er werde gegen fünf auf der Brucknerwiese sein. Kennst du den Felsbrocken, der …?«
»Ich kenn die Brucknerwiese, und weiter?«
»Naja.« Magdalena packte die Handtasche und wandte sich zur Tür. »Wenn du Lust hast, sollst du vorbeischauen. Aber du bist müde und willst dich schlafen legen. Außerdem willst du ihn heute bestimmt kein zweites Mal sehen.«
Miststück, dachte Alena, weil Magdalena zwinkerte.
»Ich fahre mit der Straßenbahn, falls du mein Fahrrad haben willst, bedien dich. Muss mich für Laura Biagiotti revanchieren«, fügte sie an.
»Magda!«
»Ja?«
»Danke.«
Magdalena hob die Hand mit gedrücktem Daumen. »Viel Glück.« Und zog die Tür hinter sich zu.
***
Alena trat fest in die Pedale, es war bereits eine Viertelstunde nach fünf. Sie bog von der Straße in einen Feldweg ein, durchquerte ein Waldstück und sah den Felsbrocken, der aussah, als würde er die abschüssige Brucknerwiese hinunterpoltern.
»Ondrej?«
»Ich bin hier.« Er rief von einer Stelle hinter dem Felsen. Sie stellte das Fahrrad ab, hängte sich die Sandalen über die Schulter und schlenderte zu ihm. Die Erde unter dem Gras war warm, und die Halme kitzelten an den Füßen.
Er lag auf einer Decke, mit dem Arm beschattete er die Augen. »Hatte gehofft, dass du kommst.« Er klopfte auf die Stelle neben sich. »Magst dich setzen?«
Sie machte es sich neben ihm bequem und schlang die Arme um die angewinkelten Beine. »Sieh nur.«
Ein Habicht kreiste über einer einsamen Pappel und stürzte blitz¬schnell zur Erde. Sein Flügelschlag wirbelte Blätter auf, die langsam zur Erde segelten. Er schwang sich mit der Beute über das angrenzende Weizenfeld davon, über einen Zug hinweg.
»Ach«, meinte Ondrej, »das war Jozef.«
»Jaja«, erwiderte Alena und schnippte eine Ameise von ihrem Zeh. Sie legte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Ondrej. Er sah aus, als würden ihn keine Gedanken beschäftigen, keine Sorgen. Er lag nur da, mit heiterer Miene, und
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