Sonderauftrag
sie den Turm des Gutshauses, das von allen hier nur ›Schloss‹ genannt wurde. Auf einer kleinen Anhöhe stand es, das Dorf weit überragend, prachtvoll. Es war Anfang des 19. Jahrhunderts im klassizistischen Stil erbaut worden, um vom Reichtum und der Macht seiner Bewohner zu künden.
Die beiden Kriminalisten fuhren langsam die Dorfstraße entlang. Nicht, weil sie sich den Ort ansehen wollten, sondern wegen der Straßenverhältnisse: War die Allee schon eine Zumutung, so war die Dorfstraße eine Katastrophe. Das Kopfsteinpflaster ragte in der Mitte der Straße in die Höhe, aber die Randbereiche waren im Lauf der Jahrhunderte stark eingefahren worden. An manchen Stellen hatte sich das Pflaster gefährlich gesenkt und Vollert hatte Angst, mit dem Wagen aufzusetzen.
»Himmel, Arsch und Wolkenbruch! Was ist das für ein Weg!« Behutsam gab er Gas und aufmerksam nach vorn schauend lenkte er das Fahrzeug um die gefährlichsten Löcher herum. Für die Schönheit der angrenzenden Häuser hatte er keinen Blick. Kröger dagegen konnte in Ruhe die Fassaden und Einfahrten bewundern. Nur Jahreszahlen an den Giebeln verrieten, dass die meisten dieser Häuser um die Jahrhundertwende gebaut worden waren. Man sah ihnen das Alter nicht an. Moderne Fenster und Türen, blanke Dächer und farbenfrohe Fassaden kündeten vom Fleiß ihrer Bewohner. Viel war in den letzten Jahren geschaffen worden, vorbei die Zeit der Mangelwirtschaft. Baumärkte und Handwerksbetriebe buhlten um Kunden.
Rumpelnd nahm der Wagen eine leichte Steigung, vorbei an einer großen Kastanie. Die Zufahrt zum Schloss war gesperrt, sie wurden von einem uniformierten Posten angehalten. Als er Kröger und Vollert erkannte, wies er die beiden kurz ein.
»Am besten, ihr parkt gleich hier vorn. Die Spurensicherung ist bereits da und Doktor Hüpenbecker ist auch schon bei der Arbeit.«
»Staatsanwaltschaft?«
»Ja, Frau Meinke.«
Kröger bedankte sich bei dem Posten und Vollert parkte das Auto unter einer alten Ulme. Er schaute, den Kopf in den Nacken gelegt, angestrengt nach oben, in die Krone des Baumes.
»Suchst du was?«
»Ja. Ich schau nach trockenen Ästen, oder möchtest du dem Chef später beichten, dass der Dienstwagen von herunterfallenden Ulmenästen beschädigt wurde?«
»Nein, das müsstest du dann übernehmen. Erstens bist du der Kraftfahrer und zweitens der mir Unterstellte.«
Vollert drehte langsam den Kopf zu seinem Kollegen. Als er die Lachfältchen in dessen Gesicht sah, winkte er nur ab. »Ja, klar. Alles Unangenehme macht Vollert. Wusstest du eigentlich, dass man im alten Rom den Überbringer schlechter Nachrichten hinrichten ließ?«
»Ja. Aber zum Glück leben wir nicht mehr im alten Rom. Stell dir mal unsere Nachrichtensprecher vor: Nach jeder Sendung würde ein Arbeitsplatz frei. Aber sag mal, woher weißt du, dass es sich bei diesem Baum um eine Ulme handelt?«
»Tja, Horst«, Vollert spielte mit dem Autoschlüssel, »ich kann dir sogar erklären, warum die Ulmen in den letzten Jahrzehnten vielerorts abgestorben sind. Deshalb wundere ich mich ja, hier ein solches Prachtexemplar zu sehen.«
»Na, dann klär mich mal schnell auf, denn viel Zeit bleibt dir nicht, Frau Meinke von der Staatsanwaltschaft kommt auf uns zu.«
»Ein Pilz, Horst.«
»Wo?«
»Quatsch. Das Ulmensterben wird durch einen Pilz hervorgerufen.« Vollert tippte sich an die Stirn.
»Ich hoffe, das gilt nicht mir?« Frau Meinke schaute Vollert forschend an.
»Nein, bestimmt nicht, Frau Staatsanwältin.« Er versuchte, ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern, doch Frau Meinke hatte sich schon Kröger zugewandt und strahlte ihn an. Sie mochte den Ermittlungsbeamten, der immer gut gekleidet war und mit seinen grauen Haaren noch manches Frauenherz zu schnellerem Schlagen bewegen konnte. Irgendwie erinnerte er sie an die Gentlemen aus den alten Schwarz-Weiß-Filmen, die ihre Oma so sehr mochte. So auch jetzt, während er ihr die Hand schüttelte und galant eine leichte Verbeugung andeutete.
»Sie können uns bestimmt schon einiges sagen, Frau Meinke?« Bei diesem Satz schaute er ihr direkt in die Augen, und die Staatsanwältin hatte das Gefühl, von seinem Blick durchleuchtet zu werden. Sie musste sich förmlich losreißen und antwortete endlich: »Na, viel ist es nicht. Bauarbeiter fanden bei den Umbauarbeiten im Keller des Schlosses ein Skelett, eingemauert in einem Gewölbeteil. Der Gerichtsmediziner ist schon bei der Arbeit und die Kollegen von der
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