Sonea - Die Hueterin
unsicher, so verängstigt, dass er plötzlich dem Drang widerstehen musste, die Arme um sie zu legen und ihr zu versichern, dass alles gut gehen würde. Aber die Worte wären eine Lüge gewesen. Er hatte keine Ahnung, was geschehen würde, wohin sie gehen sollten oder auch nur, wo er war. Sie hatte ihn von allem fortgeholt, was er verstand. Dies war ihre Welt. Sie war diejenige, die sich auskannte. Ob es ihm gefiel oder nicht, sie musste das Kommando führen.
»Wenn uns irgendjemand da rausbringen kann, dann bist du es«, erklärte er. »Also, was sollen wir jetzt tun? Nach Arvice zurückkehren? Nach Kyralia gehen?«
»Wir können weder das eine noch das andere tun. Wir haben fast in jedem Haushalt in Sachaka Verräterinnen. Jetzt, da meine Leute wissen, was ich getan habe, werden Verräterinnen den Pass im Auge behalten.« Er hörte das leise Geräusch von Fingern, die auf irgendetwas trommelten. »Wir können nicht weglaufen. Was wir tun müssen, ist Folgendes: Wir müssen zu meinen Leuten gehen - zu meiner Partei. Wir werden eine Chance haben, unser Verhalten zu erklären, und du wirst in Sicherheit sein. Ganz gleich was mit mir geschieht, sie werden dich beschützen.« Sie lachte leise. »Ich brauche dich nur sicher durch den größten Teil Sachakas und in die Berge zu bringen, ohne dass die andere Partei uns findet. Oder irgendwelche Kyralier und Sachakaner, die gewiss nach dir suchen.« »Die Berge, hm?«
»Ja. Und jetzt, da es dunkel ist, denke ich, ist es an der Zeit, dass wir aufbrechen. Wir werden an dieser Mauer herunterspringen und dann die Mauern entlang bis zur Straße gehen. Bist du bereit?«
Er nickte, dann grinste er kläglich, als ihm klar wurde, dass sie ihn nicht sehen konnte.
»Ja«, sagte er. »Ich bin bereit.«
Die junge Frau im Untersuchungsraum hatte dunkle Ringe unter den Augen. Auf ihrem Schoß zappelte ein kleines Kind, das das Gesicht verzog, während es mit beinahe unmenschlicher Stärke heulte.
»Ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll«, gestand die Frau. »Ich habe alles versucht.«
»Lass mich mal sehen«, erbot sich Sonea.
Die Mutter reichte ihr das Kind. Sonea setzte sich den kleinen Jungen auf den Schoß und untersuchte ihn gründlich, sowohl mit den Händen und den Augen als auch mit ihrer Magie. Zu ihrer Erleichterung gab es keine Anzeichen für Verletzungen oder Krankheiten. Sie spürte jedoch ein alltäglicheres Problem.
»Es geht ihm gut«, versicherte sie der Mutter. »Er hat nur Hunger.«
»Jetzt schon?« Die junge Frau griff sich an die Brust. »Ich scheine nicht genug Milch -«
Plötzlich wurde die Tür geöffnet, und Heilerin Nikea schlüpfte in den Raum.
»Es tut mir leid, dass ich stören muss«, sagte sie und sah die junge Frau entschuldigend an. Dann blickte sie zu Sonea hinüber. »Hier ist ein Bote für Euch. Er sagt, es sei dringend.«
Soneas Herz setzte einen Schlag aus. War es Cery? Sie erhob sich und gab das Kind seiner Mutter zurück. »Ihr schickt ihn besser herein. Und könntet Ihr diese junge Frau zu Adrea bringen?« Sie sah die Mutter an und lächelte. »Adrea ist eine Expertin, was solche Probleme und alternative Speisen betrifft. Ich wünschte, ich hätte sie gekannt, als mein Sohn geboren wurde. Sie wird dir helfen.«
Die junge Frau nickte und folgte Nikea aus dem Raum. Die Tür schloss sich hinter ihnen. Sonea starrte sie an, während sie auf Cery wartete. Als die Tür endlich geöffnet wurde, war es jedoch ein massiger Mann, der den Raum betrat. Er kam ihr bekannt vor, und nach einem Moment des Nachdenkens fiel ihr wieder ein, wer er war.
»Gol, nicht wahr?«, fragte sie.
»Ja, Mylady«, antwortete er.
Sie lächelte. Es war lange her, seit jemand sie das letzte Mal »Mylady« genannt hatte statt »Schwarzmagierin«. »Was gibt es Neues?«
»Wir haben sie gefunden«, sagte der große Mann, dessen Augen sich vor Aufregung weiteten. »Ich habe sie bis zu ihrem Wohnort verfolgt, und jetzt behält Cery sie im Auge, bis Ihr sie erreichen könnt.«
Abermals setzte Soneas Herz kurz aus, aber dann wurde ihr flau im Magen.
Ich werde sie nicht erreichen. Ich muss nach Rothen schicken und nach Regin.
Konnte sie es einfach unterlassen, Regin zu rufen?
Nein, wenn diese Frau eine starke Magierin ist, könnte sie Rothen überwältigen. Vielleicht ihn sogar töten. Es ist besser, wenn zwei Magier sie zur Rede stellen als nur einer. Oh, ich wünschte, ich könnte mit ihm gehen! Aber wenn ich Regin vertrauen muss, dass er nichts darüber
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