Sonea - Die Hueterin
dass es das Beste war, die Wahrheit zu sagen.
»Den Blutring meiner Mutter. Ich wusste, dass man ihn mir wahrscheinlich wegnehmen würde, wenn ich hierherkam, und ich denke nicht, dass es ihr gefallen hätte, wenn er in fremde Hände gefallen wäre.«
Wiederum ging ein Raunen durch den Raum, das jedoch schnell verebbte.
»Hast du ihn irgendwann, nachdem Tyvara Riva getötet hatte, benutzt?«
»Nein. Tyvara wusste nicht, dass ich ihn hatte... denke ich.« Er widerstand der Versuchung, in ihre Richtung zu schauen.
»Hast du noch andere Blutringe?«
»Nein.«
Savara nickte zum Zeichen, dass sie keine weiteren Fragen hatte.
»Wirst du einwilligen, dass jemand deine Gedanken liest, um die Wahrheit deiner Worte zu bestätigen?«, fragte Kalia. Plötzlich herrschte tiefes Schweigen im Raum.
»Nein!«, erwiderte Lorkin.
Gemurmelte Worte und Ausrufe folgten. Er begegnete Kalias Blick und hielt ihm stand.
Für wie dumm hält sie mich? Wenn ich jemandem erlaube, meine Gedanken zu lesen, werden sie nach dem Geheimnis der Heilkunst suchen, und dann kann ich meine Hoffnung vergessen, jemals wieder von hier fortzukommen.
Es gab keine weiteren Fragen. Riaya tauschte einen Blick mit allen Frauen am Tisch, dann sah sie Lorkin an.
»Vielen Dank, Lorkin, dass du uns Auskunft gegeben hast. Bitte, tritt an den Eingang.«
Er nickte ihr gewohnheitsmäßig respektvoll zu, dann nickte er auch den sechs Frauen und der Königin zu, damit man seine Geste nicht dahingehend deutete, dass er der Vorsitzenden eine ungehörige Gunst erwies. Als er in der Nähe des Eingangs die Führerin entdeckt hatte, die ihn in den Raum gebracht hatte, ging er zu ihr hinüber.
Sie musterte ihn nachdenklich, dann nickte sie. »Das hast du gut gemacht«, murmelte sie.
»Danke«, erwiderte er. Er schaute durch den Raum zu Tyvara hinüber. Sie runzelte die Stirn, aber als er ihrem Blick begegnete, schenkte sie ihm ein angespanntes Lächeln.
»Wir werden jetzt beraten«, erklärte Riaya.
Während die acht Frauen am Tisch sich zu unterhalten begannen, schwiegen auch die Zuschauer nicht länger. Lorkin versuchte, einzelne Gespräche in dem Stimmengewirr auszumachen, konnte aber nicht mehr auffangen als hier und da einige Worte. Die Anführerinnen am Tisch hatten offensichtlich eine magische Barriere errichtet, die sie gegen den Lärm abschirmte. Also betrachtete er, statt zu lauschen, die Menschen im Raum in der Hoffnung, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen, bevor man ihn in den fensterlosen Raum zurückbrachte.
Auf den Stufen saßen viele Paare, wie ihm auffiel, aber alle anderen waren ausschließlich Frauen. Die Menschen, die an den Wänden standen, waren dagegen größtenteils männlichen Geschlechts. Die Kleidung aller Anwesenden war schlicht, obwohl einige der Verräterinnen - Männer wie Frauen - praktischere Hosen und Tuniken trugen, während andere mit langen, gegürteten Gewändern aus feinerem Tuch bekleidet waren. Es überraschte ihn zu sehen, dass sowohl Männer als auch Frauen diese langen Kleider trugen.
Die Farbe des Stoffs reichte von ungefärbtem Weiß zu dunklen Farben, aber keine davon war leuchtend oder kräftig. Er vermutete, dass es schwer war, Farbstoffe in die Stadt zu bringen, und angesichts des begrenzten Raums, um Getreide anzubauen, hatten gewiss Pflanzen Vorrang, die der Ernährung dienten.
Obwohl er versuchte, seine Aufmerksamkeit auf das Publikum zu richten, konnte er nicht umhin, ab und an zu Tyvara hinüberzuschauen. Wann immer er das tat, ertappte er sie dabei, dass sie ihn beobachtete. Sie lächelte jedoch nicht noch einmal. Sie wirkte nachdenklich und besorgt.
Schließlich erhob sich Riayas Stimme über den Lärm im Raum. »Wir haben unsere Beratungen beendet«, verkündete sie.
Stille kehrte ein. Riaya sah die anderen Frauen am Tisch an, dann wandte sie sich Tyvara zu.
»Du hast angeboten, Sprecherin Savara zu gestatten, deine Gedanken zu lesen. Wir haben, wie das Gesetz es verlangt, alle anderen Möglichkeiten in Betracht gezogen, aber ich kann keinen anderen Weg entdecken, deine Behauptungen zu bestätigen. Tritt bitte vor.«
Aus den Reihen der Zuschauer kamen leise Stimmen und Getuschel. Lorkin dachte an ein Bruchstück eines Gesprächs zwischen Chari und Tyvara zurück, von der Reise in die Berge. Tyvara hatte gesagt, sie werde den Verräterinnen erlauben, ihre Gedanken zu lesen. Chari war schockiert gewesen. »Dös
kannst du nicht«,
hatte sie gezischt. »Dw
hast es versprochen...«
Lorkin
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