Sonne über Wahi-Koura
den Weinberg machen würden?«, schlug sie schließlich vor. »Nur wir zwei.«
Vielleicht ist es albern, so zu zögern, aber diese Nachricht braucht den richtigen Rahmen, dachte sie. Und vor allem keine Dienstmädchen, die am Esszimmer vorbeihuschen und die Ohren spitzen.
Laurent legte die Zeitung beiseite. »Ich fürchte, das werden wir auf heute Abend verschieben müssen.« Ein zufriedenes Lächeln trat auf seine Züge. »Ich habe es dir noch nicht erzählt, aber ... die Maschine ist fertig! Gestern hat mir Béchereau die Nachricht geschickt.«
Schon? Vor Schreck brachte Helena keinen Ton heraus. Warum hat er mir das nicht schon gestern gesagt?
»Wir werden heute den ersten Testflug durchführen. Einige wichtige Herren der Societé Pour les Appareils Deperdussin werden zugegen sein. Wenn alles so läuft, wie wir es uns vorstellen, wird die Firma das Modell in die Produktion aufnehmen. Und ich kann immer behaupten, dass ich der Erste war, der es geflogen hat.«
Helena war vor Angst wie gelähmt. Ohne sich im Flugzeugbau auszukennen, wusste sie, dass ein Testflug besonders gefährlich war. Erst wenn eine Maschine in der Luft war, zeigten sich ihre Schwächen.
»Freust du dich denn gar nicht für mich?«
»Natürlich freue ich mich.« Sie trank einen Schluck Kaffee. »Aber ist das Flugzeug nicht ein bisschen zu schnell fertig geworden? Vor zwei Wochen hast du noch gesagt, dass es bis zur Fertigstellung noch gut einen Monat dauern wird.«
Ein Schatten huschte über Laurents Gesicht.
Wusste ich es doch!, dachte Helena empört. Man hat die Arbeiten wegen der Industriellen beschleunigt.
Zärtlich griff Laurent nach ihrer Hand und küsste ihre Fingerspitzen. »Keine Sorge, mein Liebling, unsere Techniker verstehen ihr Handwerk! Diese Sache ist wichtig. Die Herren von der Societé sind nicht gerade für ihre Geduld bekannt. Und die Konkurrenz schläft nicht. Das weißt du ebenso gut wie ich.«
»Aber ich kann nicht abstürzen, wenn beim Keltern etwas falsch gemacht wird. Denk an die Geschichte von Ikarus!«
»Ich werde nicht abstürzen, ma chérie.« Er stockte, als käme ihm wieder in den Sinn, was er bei ihrer ersten Begegnung im Park gesagt hatte, und setzte hinzu: »Immerhin sind meine Flügel solide und nicht aus Wachs und Federn. Außerdem sehe ich den Weinberg nur zu gern von oben.«
Enthoben aller Sorgen, dachte Helena, schluckte die Erwiderung jedoch hinunter und nickte. Sie wusste, dass Laurent sich niemals ändern würde. Der Weinbau interessierte ihn nicht. Den überließ er nur zu gern seiner Frau. Aber daraus hatte Laurent ja nie ein Geheimnis gemacht. Und sie wollte keinen Streit mit ihm. Helena beschloss, die gute Nachricht auf den Abend zu verschieben. Wahrscheinlich nimmst du sie dann besser auf als jetzt, wo du mit dem Kopf bereits über den Wolken bist. Die Neuigkeit würde dich bestimmt nur ablenken, überlegte sie.
Laurent schaute sie noch eine Weile zärtlich an, dann leerte er seine Tasse und erhob sich.
»Willst du nichts essen?«, fragte Helena, denn sie hätte ihn gern noch etwas länger bei sich behalten.
»Ich bringe wahrscheinlich erst etwas hinunter, wenn der Testflug gelaufen ist. Heute Abend werde ich dir haarklein berichten, was die Konstrukteure gesagt haben. Und wie es sich angefühlt hat, dort oben zu sein - frei wie ein Vogel.«
Damit beugte er sich über sie und legte die Arme um ihre Schultern. »Wir werden Geschichte schreiben, Helena. Und ich werde es mir nicht nehmen lassen, über den Weinberg zu fliegen und dir zuzuwinken.« Damit gab er ihr einen Kuss und verabschiedete sich.
Nachdem sie ihr Kopftuch geknotet hatte, trat Helena vor die Tür. Ebenso wie ihre Arbeiter trug sie grobe Kleidung: Leinenhose, Baumwollbluse und kniehohe Stiefel. Das hatte ihr in den ersten Jahren große Verwunderung eingebracht und in der feinen Gesellschaft von Koblenz empörtes Getuschel ausgelöst. Doch mittlerweile hatten sich zumindest ihre Leute daran gewöhnt.
Ende September waren alle Tätigkeiten auf dem Weingut darauf ausgerichtet, einen reibungslosen Ablauf der Lese zu gewährleisten. Pressen wurden überprüft, Erntekörbe ausgebessert, Fässer geschwefelt und vom Weinstein befreit oder aussortiert - sofern das Reinigen nicht mehr möglich war. Ein rauchiger Duft nach Holz drang aus der hauseigenen Küferei, da die neuen Fässer ihre Rauchversiegelung erhielten.
Die Betriebsamkeit auf dem Hof erfüllte Helena mit ungeheurem Tatendrang. Mit dem Vorsatz, einige Trauben zur
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