Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
gelungen war, während des Krieges aus der unmittelbaren Umgebung der Stadt zu entkommen, wäre sie inzwischen wahrscheinlich im Zuge der Razzien der Besatzer aufgegriffen und in eines der Gefangenenlager transportiert worden. Und selbst wenn sie bisher nicht festgenommen worden war, wenn sie sich in irgendeiner abgelegenen
Oase oder Schutzhütte versteckte, würde er sie finden. Und sollte es auch sein ganzes restliches Leben dauern – er würde sie finden!
Schließlich hatte der Spion die tote Stadt erreicht.
Er war so nah an den Romuluskrater herangefahren, wie er es wagte. Dann war er etwa dreißig Kilometer westlich von Paris über den Kraterrand geklettert und hatte eines der Vorratslager erreicht, die er vor dem Krieg angelegt hatte. Er hatte sich einigen geringfügigen kosmetischen Veränderungen unterzogen und seine ID entsprechend angepasst. Schließlich hatte er eine Datennadel mit Sicherungskopien seiner Dämonen eingepackt und sich nach Einbruch der Dunkelheit über die uralten Geröllberge und Fächer aus zerbröckeltem Material zu einem etwa zwei Kilometer von der Stadt entfernten Aussichtspunkt geschlichen.
Das lange Zelt führte schräg den inneren Abhang des Kraterrandes hinab bis zu dem flachen Terrain an seinem Fuß. In seinem Innern ragten einige hell erleuchtete Gebäude auf. Die Farmröhren dagegen waren dunkel, und auch die Landschaft rundherum lag im Dunkeln – bis auf den Raumhafen, der im Glanz von Hunderten Flutlichtern zu schweben schien. Auf den Landestreifen standen drei brasilianische Shuttles. Dahinter arbeitete eine Mannschaft aus riesigen Baurobotern am Skelett eines neuen Zelts.
Der Spion döste ein wenig, bis die winzige Sonnenscheibe am Horizont auftauchte und die Mondoberfläche augenblicklich mit einem Netz aus Schatten überzog. Wachsam blickte er sich um und entdeckte im Nordosten einen kleinen Lichtschimmer. Das war die Kuppel, in der sich die Forschungsstation befand, wo Zi Lei und andere Mitglieder
der Friedensbewegung gefangen gehalten worden waren. Die verheilte Wunde in seiner Schulter begann zu jucken. Sein Körper erinnerte sich.
Zi Lei war zu ihm gekommen, nachdem das Kriegsrecht erklärt worden war und die Stadtwächter damit begonnen hatten, wichtige Mitglieder der Dauerhaften Friedensdebatte festzunehmen, und hatte ihn um Hilfe gebeten. Er hatte sie betäubt und sie einen Sender schlucken lassen. Dann hatte er sie an die Stadtwächter verraten, weil er herausfinden musste, wo die Pazifisten gefangen gehalten wurden. Er hatte den Auftrag erhalten, die Genzauberin Avernus und die Verräterin Macy Minnot aufzuspüren, beides wichtige Anhänger der Friedensbewegung. Obwohl er bei seiner Flucht aus der Stadt zu Beginn des Krieges verletzt worden war, war es ihm gelungen, das provisorische Gefängnis zu erreichen, dessen Sicherheitssystem zu sabotieren und mit den Wachen fertigzuwerden … aber dann war einiges schiefgegangen. Irgendjemand hatte ihn mit einem Betäubungspfeil außer Gefecht gesetzt, und er war zurückgelassen worden, während Zi Lei und die anderen Gefangenen geflohen waren. Er erinnerte sich noch vage daran, dass sie sich über ihn gebeugt hatte, als er wegdämmerte, und ihm zugeflüstert hatte, dass sie wisse, dass er ein guter Mensch sei. Er hoffte, dass das stimmte. Und dass sie ihm verzeihen würde, wenn er sie wiederfand.
Er beobachtete, wie Militärfahrzeuge zu den Farmröhren neben der Stadt fuhren. Gestalten in blauen Druckanzügen – Soldaten Großbrasiliens – stiegen aus und gingen auf die Luftschleusen am Ende der Röhren zu. Nach einer Weile kamen einige Leute in den Druckanzügen der Außenweltler heraus, wurden von den Soldaten in Reihen angeordnet, von denen einige zu den Feldern mit Vakuumorganismen auf der Ebene hinter der Stadt marschierten
und andere über den Güterbahnhof zu den großen Luftschleusen am Ostende der Stadt.
Als alles wieder still war, schlich sich der Spion noch näher heran und suchte sich ein Versteck in einer kleinen Felsspalte nahe der Straße, die von der Stadt zu den Feldern mit Vakuumorganismen führte. Er döste mehrere Stunden und wurde augenblicklich wach, als einige Reihen Gefangene an ihm vorbeischlurften in Begleitung von ein paar Wachen, die auf Dreirädern mit dicken Reifen saßen. Als die letzte Reihe Gefangener an ihm vorbeigezogen war, erhob er sich und schloss sich ihrem Ende an. Er folgte ihr die Straße entlang auf die Farmröhren zu. Die Gefangenen wurden nicht durchgezählt und
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