Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
befestigen, die ihn in harmlose Stücke zerfetzt hatte. Cashs Jäger war geborgen worden, und dank der Bemühungen äußerst fähiger Ärzte, die sich der neuesten Technologie bedienten, hatte man ihm das Leben retten können. Nun erholte er sich von seinen Verletzungen – ein wahrer Held des stillen Krieges. Die Akte endete mit einer Videoaufzeichnung von Arvam Peixoto, dem Oberbefehlshaber der gemeinsamen Expeditionsstreitmacht Großbrasiliens und Europas und Anführer der Dreimächtebehörde, der sich besorgt über Cash beugte, der – wie jetzt auch – im Bett lag. Der General erkundigte sich nach Cashs Befinden, und Cash zuckte zusammen, als er sein schiefes Grinsen in der Videoaufzeichnung sah und wie er mühsam einen Arm hob, um zitternd einen Daumen aufzurichten.
Er konnte sich an den Besuch des Generals nicht erinnern und ebenso wenig an den Kampf gegen den Eisbrocken oder das Eindringen in die Atmosphäre des Saturns. Auch manche Leute, die ihn besuchten, waren ihm unbekannt,
obwohl sie offensichtlich ihn kannten. Natürlich erinnerte er sich an seinen besten Kumpel, Luiz Schwarcz, und an Caetano Cavalcanti und ein paar der anderen Jungs aus dem J-2-Testprogramm. Aber viele waren ihm völlig fremd, auch die außerordentlich attraktive Blondine, Oberst Vera Flamilion Jackson, die behauptete, ihn auf den beiden Missionen, für die er in den Akten gefeiert wurde, begleitet zu haben.
Als er sich bei Luiz Schwarcz nach ihrem Kameraden Colly Blanco erkundigte, verzog Luiz den Mund und erzählte ihm, dass Colly tot sei. Er war eine Rettungsmission geflogen und dabei abgeschossen worden. Das erste Opfer, das der stille Krieg gefordert hatte.
Cash war ebenfalls ein Kriegsopfer. Körperlich erholte er sich mit jedem Tag mehr, aber sein Kopf war immer noch nicht ganz in Ordnung. Er litt unter starken Kopfschmerzen und neigte zu plötzlichen Wutausbrüchen, unkontrolliertem Weinen und Depressionen, die alles um ihn herum verblassen ließen. Derweil machte er seine Übungen und gab sich die größte Mühe, sämtliche Erinnerungs – und Logiktests zu bestehen, mit denen die Assistenten von Dr. Jésus ihn konfrontierten. Darüber hinaus schlief er viel.
Luiz Schwarcz stattete Cashs kleiner Kabine so oft wie möglich einen Besuch ab. Er schmuggelte verbotene Gaumenfreuden herein: einen Trinkbeutel Cachaça, Schokoladenriegel, einen frischen Pfirsich. Auf Cashs Bitte hin brachte er ihm außerdem einen Spiegel. Cash hatte sich bereits in der Videoaufnahme im Krankenbett gesehen. Er glaubte deshalb, auf seinen Anblick im Spiegel vorbereitet zu sein. Doch er irrte sich. Die Aufnahme musste bearbeitet worden sein. Kosmetisch geschönt. In dem Video hatte er nicht besonders gut ausgesehen, aber sein Spiegelbild war noch viel schlimmer. Er ähnelte seinem Vater. Seinem gottverdammten
Vater in dessen letzten Tagen, kurz bevor er an einem tödlichen Karzinom gestorben war, das seine Lungen in schwarzen Schleim verwandelt hatte.
»Du siehst aus, als hättest du ein Loch im Kopf«, sagte Luiz. Er saß auf der Kante von Cashs Bett, weil das die einzige Sitzgelegenheit war – ein drahtiger Mann mit kaffeebrauner Haut und einem Bleistiftbärtchen, gepflegt und selbstsicher in seinem frisch gebügelten blauen Overall. »Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der halsstarrig genug ist, um das zu überleben.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich überlebt habe. Ich meine, ich bin nicht mehr der, der ich früher war.«
»Du bist jetzt ein gefeierter Held mit einem Haufen Orden«, sagte Luiz.
»Ich bin ein Versager, der Mist gebaut hat.«
»Es war eine schwierige Mission. Und du bist dicht rangeflogen und hast die Fallen entschärft. Die Schienenkanonen und die Drohnen. Wenn du das nicht gemacht hättest, hätten wir die Atombombe nicht anbringen können, die den Eisbrocken in Stücke zerfetzt hat. Und wenn hier jemand Mist gebaut hat, dann ja wohl Vera und ich. Weil wir dich nicht haben retten können, als dein Schiff abgedriftet ist.«
»Ich nehm’s euch nicht übel. Ihr musstet eure Mission beenden«, sagte Cash.
»Wir haben sie beendet. Und danach hätten wir hinter dir her fliegen sollen …«
»Ihr habt eure Pflicht getan«, sagte Cash. Wut kochte in ihm hoch. »Und ihr musstet mich zurücklassen. Dumm gelaufen. Wann kommst du endlich darüber hinweg? Ich habe es nämlich verdammt nochmal satt, dass du dich ständig dafür entschuldigst.«
»Du bist müde«, sagte Luiz. »Ich komme später wieder.«
»Ja, genau,
Weitere Kostenlose Bücher