Sonnenwanderer
Rattenpelzmantel. »Die Schlampe geht auf keinen Fall zu Fuß. Das müsste man sehen«, sagte Natalie.
Königin Marjories Gesicht war mit einer apricotfarbenen Grundierung gespachtelt und die Augen dick mit Schwarz umrandet. Sie redete von Obristin Stark, die angerufen und ihr die frohe Botschaft mitgeteilt hatte. »Sie hat sicher viel um die Ohren, das Lämmchen. Sie sagt, sie braucht mehr Hunde.«
»Ich hätte nichts gegen den Mantel«, sagte Morgan.
Die Königin tätschelte einen von ihren eigenen Hunden. »Gorgy wird seine schnippiwuschi Königin gegen die totale Anarchie verteidigen«, nuschelte sie liebevoll. »Nicht wahr, Gorgy-Liebling? Das wird er, der Schöne.« Sie richtete sich auf und warf einen Blick zurück auf das Aquädukt. Weder sie noch ihre Untertanen hatten je versucht, es zu überqueren. Es gab Leute, die da drüben Monster gesehen haben wollten: riesige Hundertfüßer und Leute mit dem Gesicht nach hinten.
Dotty Wallace war sichtlich erregt. »Wir brauchen unbedingt ein Wappen«, sagte sie. »Und eine Hymne. Und eine Ode.«
»Was für Neuigkeiten«, verkündete Königin Marjorie der Heroldin, die ihnen, die Hand auf dem Hut, entgegeneilte. »Lauf, Heroldin, und lasse die Hörner blasen und lasse es von Lautsprecher zu Lautsprecher schallen. Proxima und ihre Untertanen sollen wissen, dass wir sie in unseren Teleskopen haben!«
Dann begann sich ein fürchterlicher Lärm durch die Tunnel zu wälzen, wie von zwei, zehn, zwanzig hysterischen Dudelsäcken. Und von jedem Vorhof, jedem Portal erhob sich der vielstimmige Ruf. »Königin Marjorie krönt diese Botschaft mit ihrer Gegenwart! Hurra! Floreat Foxbournia!«
Die Hörner bliesen den ganzen Tag und tönten die Botschaft durch die Siedlungen der Scheitelregion. Gitarren heulten, und Gongs dröhnten, und Rumbakugeln rasselten, um das Fest der Annäherung einzuläuten.
In Zonen mit Zeitzersetzung, in Hütten aus erbeuteten Raumschiffteilen und gestohlenen Straßenschildern brauchten die frierenden »Krähen« mehrere Tage, bis sie die Echos hörten. Dann legten sie die Hände um den Mund und schrien die Botschaft von Sippe zu Sippe.
Im Maison Zouagou beaufsichtigte Pater Le Coq die sich windenden Schafe. Wie er mit seinem Federcape und dem roten Fez herumstolzierte, hatte er wirklich etwas von einem Hahn. »Brüder und Schwestern, bald kommen wir an!«, verkündete er seiner verschwitzten Herde. »Im Namen des Allmächtigen winkt Bruder Elvis uns mit saftigem Weideland!«
Oben an der Oxygrube versperrte ein zerbeulter kleinmaschiger Drahtzaun das Ende eines abzweigenden Fußtunnels.
Ein schwacher Brandgeruch hing in der Luft. Am Zaun hing ein schmutziges Schild. Es warnte vor einem jähen Gefälle in »unerschlossenes Terrain«. Das Schild hatte lauter Löcher unterschiedlicher Größe. Eine forensische Untersuchung hätte ergeben, dass die Löcher ausnahmslos von der anderen Seite her entstanden waren.
In der finsteren Abgeschiedenheit hakten sich plötzlich menschliche Finger in die Maschen des Zauns.
Das Schild klimperte ganz, ganz leise.
Die Gestalt einer jungen Frau in Null- g -Schuhen und geflickten Ledersachen hob sich in Sicht - hätte es einen Zuschauer gegeben und wenigstens eine Spur von Licht. Schwer atmend hing sie hinter dem Schild und spähte in den Tunnel dahinter. Sie versuchte zu analysieren, was sie akustisch auffing.
Das Geräusch war regelmäßig, rhythmisch, hart. Nicht besonders schnell. Die Kundschafterin wusste natürlich, wer es verursachte. Es waren Rotmützen. Sie marschierten den Haupttunnel herauf. Sie kamen näher.
Sie wartete, bis sie abschätzen konnte, wie viele es waren. Es waren keine zehn. Eine Rotmützenpatrouille, die der Finsternis und dem Verfall der Heckregionen trotzte.
Geräuschlos tauchte die Kundschafterin wieder ab. Am Grund hausten Ratten zwischen Abfall und Schutt. Furchtlos landete sie unter ihnen, eine Kombination aus Infrarotsteuerung und Restlichtverstärker ließ sie zielsicher über große Trümmerstücke hinwegspringen oder Haken schlagen. Sie kletterte gut zweihundert Meter an toten Liftkabeln hinunter und ließ sich in einen anderen Tunnel fallen.
Der Wächter hob das Kinn, erkannte sie und ließ sie passieren. Hinter ihm in den Tiefen der Oxygrube mäanderte die Chaos-Horde träge um ihre Feuer.
Die Oxygrube gehörte inzwischen ausschließlich den Menschen; dasselbe galt für die Brücke und viele, viele andere Lokalitäten. Ihren Reichtum erwirtschaftete die
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