Soulbound (Ghostbound) (German Edition)
wären sie gerade einem Bollywood-Streifen entsprungen. Sie trugen leggingartige Hosen und knielange Seidenkurtas mit einem breiten Gürtel, alles abgestimmt in Weiß, Gelb und Goldtönen. Außerdem trugen sie ein gelbes Halstuch, das Erkennungszeichen der ursprünglichen Thuggee-Sekte. Es war fast komisch, wie deplatziert sie in der altmodischen Küche in dieser Aufmachung wirkten.
„Haben sich eigentlich dieser Bulle und die Tussi noch mal bei deinen Eltern gemeldet?“, fragte der blonde Junge und steuerte direkt auf Elizabeth zu. Mit weit aufgerissenen Augen blickte sie ihm entgegen, während sie sich aufs Äußerste konzentrierte. Sie spürte, wie das Gefühl der Geborgenheit sie einhüllte, sich in ihre Brust setzte und sie von dort ausgehend wie die Wurzeln einer Pflanze durchdrang. Trotzdem bildete sich Schweiß in ihrem Nacken und lief als dünner Rinnsal an ihrem Rücken hinab.
„Nein“, erwiderte Warren mit vollem Mund. „Die lassen sich bestimmt nicht mehr blicken.“
Der Blonde öffnete die Kühlschranktür und holte eine Milchflasche heraus. „Mich würde ja echt interessieren, wie die auf dich gekommen sind.“
„Na durch Marty“, sagte Warren schulterzuckend.
Der Blonde ging an Elizabeth vorbei an einen Schrank, um sich ein Glas zu holen. Verdutzt hielt er inne und hob schnuppernd die Nase. „Riecht das hier nach Parfüm?“
Elizabeths Herz rutschte noch tiefer in die Hose. Wie konnte er ihr Parfüm riechen? Sie hatte es vor über zehn Stunden aufgelegt. Verzweifelt klammerte sie sich an ihren magischen Gedanken, versuchte alles andere auszublenden und sich von dem Gefühl der Sicherheit durchströmen zu lassen.
Warren kicherte. „In einem Haus voller Männer? Das ist wohl eher Wunschdenken.“
„Vielleicht war ja Sam gerade hier“, grinste der farbige Junge. „Ich wette, der hat ganze Schränke voll Duftwässerchen zu Hause.“ Zu Elizabeths Erleichterung kehrte er dann zum ursprünglichen Thema zurück: „Jedenfalls denke ich, wir sollten uns Marty mal zur Brust nehmen und ihm klar machen, was mit Leuten passiert, die zu viel quatschen.“
„Ich glaube zwar nicht, dass Acharya davon besonders begeistert wäre“, sagte der Blonde und verließ, ohne die verdächtige Duftwolke nochmals zu erwähnen, zusammen mit Warren die Küche. „Aber was er nicht weiß …“
„Außerdem hat er in nächster Zeit bestimmt Besseres zu tun, als sich um uns zu kümmern“, lachte der farbige Junge und folgte den beiden anderen.
Aufatmend schloss Elizabeth die Augen und sandte ein Dankgebet gen Himmel. Na, wenn das eben kein Beweis für die Wirkung des Zaubers war . Warrens blonder Freund hatte sich noch nicht mal zwei Schritte neben ihr befunden. Sie schnupperte an ihren Haaren. Es war nicht ihr Parfüm gewesen, das er gerochen hatte, sondern Sandra Headways süßlicher Weihrauch. Und dennoch hatte er sie nicht bemerkt!
Zuversichtlich, ungesehen in die Bibliothek zu gelangen, stieß sie sich ab, schnappte sich noch eine paar Trauben und machte sich dann auf die Suche.
Sie folgte einem mit dunklem Holz vertäfelten Korridor. Ein dicker, grüner Teppich dämpfte jeden ihrer Schritte. Sie ging immer an der Wand entlang, um zufällig Entgegenkommenden ausweichen zu können. Mittlerweile gelang es ihr ohne große Anstrengung, die für den Zauber notwendige Erinnerung permanent in ihrem Bewusstsein und damit das Gefühl der Sicherheit in ihrer Brust zu halten.
Es war, als würde ihr Gehirn auf zwei Ebenen gleichzeitig funktionieren, ähnlich, wie wenn sie bei Sonnenaufgang Daniels Anker gewesen war. Die erste Ebene war die Erinnerung, konstant, und alles andere überlagernd. In der zweiten Ebene nahm sie ihr Umfeld wahr, registrierte Stimmen, versuchte sich zu orientieren.
Zwei Mal begegnete sie auf ihrem Weg älteren Thuggees in weißen Kurtas, doch von keinem von ihnen wurde sie bemerkt.
Um in die Eingangshalle zu gelangen, musste sie schließlich den kleinen Salon durchqueren, in dem das Spiritistentreffen stattgefunden hatte.
Elizabeth presste sich an die Wand neben der Tür und lugte in den Raum. Etwa ein Dutzend Männer hielten sich darin auf, unter ihnen Simon und seine Freunde. Auch sie trugen diese teuren indischen Sachen und unterhielten sich mit Herren, die in gleicher Art gekleidet waren. Die restlichen Anwesenden trugen westliche Kleidung mit gelben Krawatten oder Einstecktüchern. Die Stimmung im Raum war heiter, doch lag eine Spannung in der Luft, die beinahe greifbar war. Sie
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