Souvenirs
auch, dass sich die Dinge zwischen uns ändern könnten, wenn sie ihreWünsche entsprechend artikulierte. Sie meinte: «Nein, das ändert nichts. Mein Entschluss steht fest …» Ich mühte mich weiter, einen Schwebezustand zu erreichen und das Endgültige abzuwenden. Da ich mich von unserer Verbindung so überzeugt gab, willigte sie ein, ihre Trennungsgedanken ein bisschen beiseitezuschieben. Wir verharrten ein Weilchen im Undefinierbaren, ließen die Liebe in den Sternen stehen. Manchmal dachte ich mir, dass das alles abzusehen gewesen war, dass ich vor dem schleichenden Verfall einfach die Augen verschlossen hatte. Dann dachte ich mir wieder, dass das alles überhaupt nicht abzusehen war, dass man mir eins mit einer Keule übergebraten hatte. Ich war mir nicht mehr sicher, wo eigentlich meine eigene Wahrheit lag. Ich wollte mit Leuten darüber reden, wollte mich nicht mehr so allein fühlen, aber ich war nicht bereit, irgendeinem Freund oder Bekannten mein Herz auszuschütten. Ich wollte ihre Ansichten über mein Leben nicht hören. Ich wollte nicht hören, wie sie Louises Verhalten beurteilten. Ich kam mir furchtbar verloren vor.
Eines Abends schnappte ich mir meinen Wagen und bog in die Autobahn Richtung Le Havre ein. Aber ich hatte nicht vor, zu Louise zu fahren. Ich würde nicht die Dummheit begehen, mitten in der Nacht bei ihr aufzukreuzen, um sie anzuflehen, wieder nach Hause zu kommen. Ich fuhr nur bis zur Raststätte; bis zu der gleichen Raststätte, an der ich vor acht Jahren gehalten hatte, als unsere Liebe ganz am Anfang stand. Als ich gespürt hatte, dass ich jemanden zum Reden brauchte, war mir sofort der Mann an der Kasse eingefallen.Wahrscheinlich arbeitete er schon lange nicht mehr da, aber ich musste es versuchen. Vorsichtig trat ich ein und erkannte ihn gleich wieder. Er saß auf seinem Platz, hatte noch immer die gleichen Klamotten an, sah noch genauso aus. Das heißt, es gibt Menschen, deren Leben keinerlei Veränderungen unterworfen ist. Der einzige Unterschied war: Der Papagei fehlte. Er war bestimmt gestorben. Ich weiß nicht, was für eine Lebenserwartung ein Papagei hat. Wahrscheinlich auch keine höhere als ein Liebespaar.
Ich ging auf den Mann zu und blieb regungslos an der Kasse stehen.
«Was kann ich für Sie tun?»
«…»
«Na, was wollen Sie? Also wenn Sie sich irgendeine Gemeinheit ausgedacht haben, kann ich Ihnen gleich sagen, da ist die Kamera», sagte er und zeigte auf die Decke.
«Nein … nein … also … vor acht Jahren … da haben Sie mir mal ein Twix verkauft.»
«Vor acht Jahren hab ich Ihnen ein Twix verkauft … und?»
«…»
«…»
«Und dann haben wir ein bisschen geredet. Sie haben mir einen sehr guten Rat gegeben … Können Sie sich nicht daran erinnern?»
«Vor acht Jahren soll das gewesen sein? Nein, kann ich mich nicht erinnern. Hier kommen viele Leute vorbei. Aber Leute, die kommen und sagen, ich hätte ihnen vor achtJahren ein Twix verkauft, also ich muss sagen, da sind Sie jetzt der Erste. Also was wollen Sie? Noch ein Twix?»
«Ja … Das heißt, nein. Es geht um meine Frau. Sie will sich von mir trennen. Und ich wollte Ihre Meinung dazu hören. Ich wollte mit Ihnen drüber reden. Jetzt, wo ich hier bin, komme ich mir richtig blöd vor. Aber eben hab ich mir noch gedacht, Sie sind der Einzige, der mir einen guten Rat geben kann.»
«…»
Ich wirkte anscheinend ehrlich, entwaffnend ehrlich. Er gab sein Misstrauen gegen mich auf und bot mir ein Bier an. Zu dieser späten Stunde war sonst niemand hier. Wir setzten uns draußen hin. Der Himmel war für eine Novembernacht ziemlich klar. Ein Spätsommerhimmel. Die Nacht war so still. Nach einer Weile sagte er zu mir: «Da kann man nichts machen.» Er hatte natürlich recht. Es war nichts zu machen. Ich wusste genau, Louise gehörte nicht zu der Sorte von Frauen, die irgendwelche Sachen ankündigt und sich dann nicht daran hält. Worte hatten immer Gewicht für sie. Ich konzentrierte mich auf den Punkt, dass sie Paul in ihrer alten Schule angemeldet hatte: Das war eine konkrete Maßnahme, die meine Hoffnung schwinden ließ, dass das Stadium der ungeklärten Verhältnisse lange andauern würde. Für Louise waren die Verhältnisse nämlich klar. Sie beschritt den Pfad der Klarheit. Die Schwierigkeit für mich bestand darin, eine Situation anzunehmen, die keinen unmittelbaren Anlass hatte. Der Fluchtgedanke hatte immer in ihr gesteckt, sie traf ihre Entscheidungen im Dunkeln, für alle Welt
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