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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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Freunde würde meine Großmutter hier niemals finden, das war klar.
     
    Wir sahen uns ihr Zimmer an. Es war klein, aber ordentlich eingerichtet. Ein Bett, ein Schrank, ein kleiner Kühlschrank. Mein Vater sagte, er werde ihr einen neuen Fernseher besorgen. Ich spürte, er war nahe daran, zu einem ähnlichen Monolog wie im Auto auszuholen. Doch meine Großmutter bremste ihn, indem sie versicherte, dass alles tadellos sei und dass sie sich jetzt ausruhen wolle. Bei dem Gedanken, sie an diesem Ort allein zu lassen, zog sich mir der Magen zusammen.Mein Vater veranstaltete draußen im Flur weiter seine Show, als deren alleiniger Zuschauer ich übrig geblieben war. Er sagte, sie würde es gut haben und er sei froh, sie hier in Sicherheit zu wissen. Dieser Ausspruch war wie ein Hilferuf. Er strampelte sich schon seit Stunden im Leerlauf ab. Wartete verzweifelt darauf, dass ihm jemand antwortete. Dass jemand sagte, was ich endlich sagen sollte: «Ja, ich glaube auch. Sie wird sich hier wohlfühlen.»
     
    Dennoch ahnte ich vom ersten Tag an, dass sich etwas Dramatisches ereignen würde.

8
Erinnerungen meines Vaters
    Mein Vater gehört zu denjenigen Leuten, deren persönliche Mythologie sich auf eine einzige Anekdote gründet. Auf eine Anekdote, die das nähere Umfeld regelmäßig zu hören bekommt, wobei alle schon stöhnen, wenn die alte Leier wieder anfängt. Er war ein eher verschlossener und ängstlicher Jugendlicher, der sich nicht recht wohl in seiner Haut fühlte. Die imposante Gestalt meines Großvaters hatte ihn sicherlich irgendwie erdrückt. Aufmerksam beobachtete er die jungen Mädchen, sehnte sich nach ihnen und dachte traurig, dass er immer nur in seinen Träumen Mittel und Wege fand, sich ihnen zu nähern. Eines Tages beschloss er, dieMädchen systematisch abzuhaken und bei jedem «ein Kreuzchen zu machen». Ironie des Schicksals: In dem Moment, in dem er gerade ein Kreuzchen machen wollte, fiel sein Blick auf eine Kirche, aus der ein Mädchen kam. Er wusste nicht, warum er sich so zu ihr hingezogen fühlte, das war Wahnsinn, in ihm regte sich offenbar ein Instinkt. Er musste sie unbedingt ansprechen. Doch in dem Moment, in dem er auf sie zuging, begann sein Leid. Das Bild des Mädchens, das aus der Kirche kam, verfolgte ihn schon jetzt, als sei es nur eine Erinnerung, als sei es gar nicht wirklich vorhanden. Als er sie erreicht hatte, stellte er sich ihr in den Weg und sagte: «Sie sind so schön, dass ich Sie nie mehr wiedersehen will.
»
Ohne zu wissen, was in ihn gefahren war, hatte er einen so schönen wie eigenartigen Satz herausgebracht. Ich überspringe die Details, die mein Vater jedes Mal dazuphantasierte, wenn er in seinen Erzählungen die Erinnerung an jenen Moment zusammensetzte, denn er erfand jedes Mal etwas Neues: überraschende Wendepunkte, Wetterumschwünge, sodass der Kurzfilm dieses Augenblicks sich zu einer gigantischen Hollywoodproduktion aufblähte.
     
    Für meinen Vater war diese Erinnerung unendlich kostbar, denn er war – wahrscheinlich zu Recht – der Ansicht, dass dies der einzige Augenblick in seinem Leben gewesen war, in dem er heroische, verblüffende und sogar charmante Züge angenommen hatte. Unglaublich, dass ihn ein solcher Drang beseelt hatte. Und um den Reiz dieses Moments in vollem Umfang zu begreifen, muss man dazusagen, dass diese Frau seine Frau werden sollte. Dass diese Frau meine Mutter werden sollte.

9
    An dem Tag, an dem wir meine Großmutter ins Altenheim brachten, hatte mich das Verhalten meines Vaters überrascht. Ich war es nicht gewohnt, ihn so engagiert, so aufgeregt zu erleben. Er ist ansonsten eher der Typ, der einmal in zehn Jahren ein Gefühl zeigt. Allmählich sollte ich beginnen zu verstehen, dass seine bis dahin nicht in Erscheinung getretene Empfindsamkeit mit seiner gesamten persönlichen Situation zusammenhing. Er war vor ein paar Monaten in Rente gegangen und durfte sich nun als Großorganisator seiner Stunden hervortun. Er, der immer Sekretärinnen gehabt hatte, die seinen Terminplan austüftelten. Ich glaube, er spürte die Leere, die sich in den meisten menschlichen Beziehungen im Laufe eines langen Berufslebens einschleicht. Seine Welt war die der Banken gewesen, das heißt die letzten zwanzig Jahre hauptsächlich eine davon. Ein aller Ehren werter Filialleiterposten war die Krönung des Ganzen gewesen.
     
    An seinem letzten Tag hatte in der Zentrale ein großer Abschiedsumtrunk stattgefunden. Es war eine nette Veranstaltung; man könnte

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