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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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sogar wagen, von einer gemütlichen Feier zu sprechen. Es gab Punsch, hie und da ein paar kurze Reden, die die Verdienste einer ausgezeichneten Karriererühmten, dezentes Schulterklopfen und eine kleine Prämie, die die Kollegen gesammelt hatten (mancher hatte wohl nur widerwillig seinen Beitrag von zehn Euro geleistet, aber gut, so leicht kommt man um soziale Verpflichtungen nicht herum), um meinem Vater eine Reise nach Tunesien mit Unterkunft in einem zweitklassigen Klubhotel zu einer höchst deprimierenden Jahreszeit, die es noch genau festzulegen galt, zu ermöglichen. Dann mussten alle rasch zurück an die Arbeit, und bald standen sie nur noch zu zweit oder dritt am Buffet. Mein Vater half beim Zusammenräumen, warf die herumstehenden Plastikbecher in den Müll. Die letzte Handlung seiner Berufslaufbahn. Ein Kollege bemerkte, dass in einer Flasche noch ein bisschen Apfelsaft war, und sagte zu ihm mit einem breiten Lächeln, in dem sich die Menschlichkeit eines Gehaltsempfängers offenbarte: «Schau, den kannst du dir ja mit nach Hause nehmen.» Mein Vater steckte die Flasche ohne Murren ein, wie um die sanfte Demütigung dieser Szene zu überspielen. Er, der sich über viele Jahre hinweg so wichtig vorgekommen war, ging nun mit einem Rest Apfelsaft nach Hause. So sahen die modernen Ehren und Würden aus.
     
    Ich glaube, das hat ihn niedergedrückt. Aber ich stehe ihm nicht nah genug, um sicher zu sein. In der ersten Zeit schaute er regelmäßig in der Filiale vorbei, und alle taten so, als freuten sie sich, ihn wiederzusehen, man beschwor die Erinnerung an ein paar Akten herauf, die eine Zeit lang lustig oder wunderlich erschienen waren, die aber, durch den Filter der Jahre betrachtet, jegliche Bedeutung verloren hatten. Manerkundigte sich, wie es ihm ging, und da es ihm gut ging, gab es nichts weiter zu besprechen. Also warf mein Vater ein «Schönen Tag noch» in die Runde und versprach, bald wiederzukommen, um sich über den neuesten Stand der Dinge zu informieren. Doch eines Tages verkamen diese Worte zur Floskel, denn er kam nicht wieder. Und niemanden kümmerte es, was aus ihm wurde. Später irgendwann stellte er sich die Frage: «Hat mich meine Karriere nicht um etwas anderes gebracht? Etwas Wesentlicheres, etwas Wahrhaftigeres, etwas Menschlicheres?» Diese Frage stellte sich freilich in dem Moment, als sein Vater starb, und nun, da seine Mutter ihre ersten Tage im Altenheim verbrachte, stellte sie sich noch dringender. Hinter seinem altruistischen Gebaren erkannte ich die eigene Angst vor dem Altern. Ich war von seiner Verwirrtheit seltsam berührt. Er schwankte zwischen seiner Rolle als Sohn und der als alternder Mann. Er war verunsichert und dadurch auf eine bisher unbekannte Art sensibel, wie bei der Szene im Auto, in der er die Stewardess gemimt hatte.
     
    Auf dem bis hierher gezeichneten Familienporträt fehlt noch: meine Mutter. Es wundert mich, dass sie erst jetzt in Erscheinung tritt. Aber man muss dazu sagen, dass wir sie in jenem Sommer so gut wie nie zu Gesicht bekamen. Wäre sie da gewesen, hätte mein Vater wahrscheinlich nicht so viel Zeit für meine Großmutter gehabt. Seine Frau hatte immer oberste Priorität. Viele Frauen hätten bestimmt viel um eine solche Gefühlshierarchie gegeben, doch bei meiner Mutter war das nicht wirklich der Fall. Sie war froh, sich aus demStaub machen zu können. Wie mein Vater hatte sie kürzlich das merkwürdige Land der grenzenlosen Zeit entdeckt, das sie nun regieren durfte: das des Ruhestands. Sie hatte an einem Collège Geschichte unterrichtet, was in den letzten Jahren offensichtlich an ihr gezehrt hatte. Bei aller Liebe zum Beruf, auch bei aller Berufung zum Beruf, war doch zu spüren gewesen, dass sie einfach nicht mehr konnte. Sie sagte die ganze Zeit: «Wenn ich in Rente gehe, dann mach ich dies, und dann mach ich das …» Sie ahnte nicht, dass sich ihre Träume in Albträume verwandeln sollten – aber es wäre verfrüht, davon zu sprechen. Sie wollte erst einmal ihre Zeit genießen. Und als der erste Sommer kam, der nicht mit einem Schulanfang endete, packte sie ihre Koffer und brach mit Freundinnen auf zu einer langen Reise.
     
    Sie war also in Russland zu der Zeit, als meine Großmutter ins Altenheim zog. Sie hatte beschlossen, den «Goldenen Ring» abzufahren und eine große Klostertour zu machen. Religiöse Orte hatten es ihr schon immer angetan, obwohl sie nicht gläubig war. Ihre besondere Vorliebe galt orthodoxen Kirchen, in deren

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