Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
großzügiges Zimmer. Rechts führte eine Treppe ins Obergeschoss, die Stufen bestanden wie der Fußboden aus hellblau lackierten Holzbohlen, die in der Mitte ausgetreten waren. Direkt hinter der Haustür lag ein grob gewebter, bunter Läufer auf dem Boden, ähnliche weiter hinten im Raum und auf der Treppe.
Unter der Decke hing eine runde, milchige Glaslampe. An der linken Seite hatte der Raum drei Fenster, die zur Straße wiesen, die Rahmen waren weiß gestrichen. Unter ihnen stand ein Sideboard aus hellem Holz, daneben hing ein nierenförmiger Spiegel, darüber war eine Garderobe angebracht, an der Wollmäntel und Strickjacken hingen.
Forss nahm eine braune Strickjacke vom Bügel und roch am Stoff. Er war klamm, aber sie nahm noch etwas anderes, Intensiveres wahr: kein Rasierwasser, auch kein Eau de Toilette, eher ein Parfüm. Sie hängte die Jacke zurück und ging weiter ins Wohnzimmer. Es machte die gesamte Rückseite des Hauses aus – ein freundlicher, offener Raum mit großen Fenstern, die den Blick auf den Garten freigaben. In einer Ecke stand ein einladender Freischwingersessel. Forss sah ihn sich näher an. Ein Original aus den späten Fünfzigern, das Design war von Alvar Aalto oder Bruno Mathsson. Sie nahm Platz. In der Mitte des Raums stand ein Esstisch samt Stühlen aus der gleichen Zeit. Vermutlich auch Originale. Daneben war ein Servierwagen geparkt, der zwei große und zwei kleinere Räder hatte. Von der Decke hing eine weiße Lampe, deren Form an einen Lippenstift erinnerte. Alles Designermöbel. Wer auch immer dieser Tote ist, dachte sie, er hatte Geschmack gehabt. Und Geld.
Sie zupfte an einem Seidenkissen herum, das im Sessel lag. Längst trug sie die obligatorischen Plastikhandschuhe. Auf dem Boden lagen noch zwei Kissen, auf den Stühlen am Tisch jeweils eins. Unter einem Fenster stand ein kniehohes Regal, auf dem sich eine alte Braun-Stereoanlage befand. Auf dem Teller des Plattenspielers lag eine Single. Die Rolling Stones, Mother’s Little Helper , die Hymne aller Tablettenabhängigen, dachte sie flüchtig. Sie sah aus dem Fenster. Ein Stück entfernt stand ein großes Glashaus, mindestens fünfzehn Meter lang und sechs Meter breit. Hinterden durchsichtigen Wänden sah sie ein Dutzend Polizisten durcheinanderlaufen. Sie schaute sich weiter im Wohnzimmer um. Drei gerahmte Bilder hingen an der Wand, große Formate, A2, A1 oder noch größer. Es waren Kalligrafien, japanische Schriftzeichen, vielleicht auch chinesische. Sie passen überraschend gut zum nordischen Stil der Möbel, dachte sie.
An der angrenzenden Wand waren ein paar gerahmte Fotografien aufgehängt. Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Städten und Gebäuden. Immer ein guter Winkel, ein gutes Auge fürs Motiv. Paris war da zu sehen, Tel Aviv und eine US – Großstadt. Sie tippte auf Chicago, aber vielleicht irrte sie sich auch.
Sie ging zurück zum Sessel und setzte sich. Auf dem flachen Wohnzimmertisch vor ihr standen zwei Tassen und eine Teekanne, ein asiatisches Teeservice. Sie nahm eine Tasse und hielt sie ins Licht. Sie war unbenutzt. In der anderen befand sich ein Rest Tee.
Als Nyström rief, stand sie auf und ging durch die Hintertür Richtung Glashaus. Auf der Rückseite des Hauses schloss eine überdachte Terrasse an das Gebäude an. Der Garten war größer als ein halbes Fußballfeld. Hinter dem Rasen ging er in eine große ovale Senke über, die mit Schilf bewachsen war und bis an den Waldrand reichte.
Nyström winkte ihr zu. Sie stand in der Tür des Glashauses, neben ihr Lars Knutsson. Forss ging zu ihnen. Nyström sah ernst aus.
»Der Tote ist hier drinnen. Vielleicht gehst du selbst einmal rein. Dann reden wir.«
Sie nickte. Knutsson hielt ihr zwei violette Schuhüberzieher hin. Sie sah einen Moment auf seine Hand. Zitterte sie? Vielleicht nur die Kälte. Sie streifte die Dinger über und betrat das Glashaus. Links sah sie eine Werkbank, auf der Blumenkästen mit Setzlingen und kleinen Pflanzen standen. Daneben lehnten Harken, Spaten und Zangen. Seitlich waren kleine Beete angelegt. Forss durchquerte den Raum und öffnete eine Tür. Als sie sich durch Plastiklamellen gedrängt hatte, schlug ihr eineWand aus Wärme und Feuchtigkeit ins Gesicht; diese Tür war eine Art Klimaschleuse. Draußen waren es drei Grad, im Vorraum vielleicht dreizehn und hier drinnen dreißig. Das Wasser stand in der Luft, sie begann zu schwitzen. Sie zog ihren Mantel aus und legte ihn über den Arm.
Palmen, Farne, mannshohe Büsche –
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