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Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Titel: Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Voosen , Kerstin Signe Danielsson
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es sah aus wie in einem Urwald. Da waren Bananenstauden, ein Zitronenbaum und spanisches Moos. An der Decke liefen metallene Heizungsrohre entlang, zwei Wasserleitungen, und dort war ein Zerstäuber. Sie stand jetzt direkt vor einem Bassin mit Zierfischen. Ein Koikarpfen schwamm an der Wasseroberfläche und schnappte nach Luft. Er war orange und weiß, und wenn er schnappte, öffnete er das Maul zu einem großen »O«. Langsam ging Forss um das Becken herum. Sie wischte sich Schweißtropfen von der Stirn, vielleicht war es aber auch nur Kondenswasser.
    Dann sah sie den Toten.
    Der Leichnam lehnte sitzend, in aufrechter Position, an einem Stapel aus Säcken mit Blumenerde. Der Kopf war in den Nacken gerutscht, das Kinn stand vor wie eine Zinne. Der Mund war offen, als wolle der Tote das Wasser aus der Luft seines Tropenhauses saugen. Doch am auffälligsten waren die Augen. Der Mann hatte keine Augen mehr. Dort, wo sie einmal gewesen waren, befanden sich nur noch zwei milchig eingetrübte Kugeln. Keine Pupillen, keine Farben, kein Blick. Gar nichts. Wie eine fürchterliche Puppe saß er da. Einer der Augäpfel war so zerstört, dass er begonnen hatte auszulaufen. Das Gewebe in der Augenhöhle, rund um die Nase und rund um den Mund war rot wie gekochtes Krebsfleisch und angeschwollen, als hätte den Toten ein Wespenschwarm überfallen. Es war nur noch zu erahnen, wie er einmal ausgesehen hatte.
    Forss trat näher heran. Der Leichnam trug ein Flanellhemd, abgewetzte Cordhosen und braune Halbschuhe. Am Boden unter der Leiche stand eine große Pfütze. Sie fühlte vorsichtig am Hosenbein. Es war durchnässt. Auch das Hemd und die Schuhe. Erst dachte sie an Urin, doch dann sah sie, dass sogar die Haarsträhnen, die sich über den Schädel des Toten spannten, nass waren. Dort, wo der Kopf des Toten auf dem obersten Kunststoffsack mit weichem Torfmull ruhte, sah sie einen dunklen Fleck. Sie nahm einen Kugelschreiber aus der Tasche und kratzte vorsichtig daran. Es sah aus wie verkrustetes Blut. Vermutlich hatte der Tote am Hinterkopf eine Wunde. Sie hockte sich hin und sah auf die Hände des Leichnams, die neben den Oberschenkeln auf den Betonplatten ruhten. Unnatürlich, wie bei einer Puppe. Wie hingelegt. Es fiel ihr erst auf den zweiten Blick auf: Der kleine Finger fehlte.
    2
    Nyström stand im Kreise ihrer Kollegen vor dem Glashaus. Knutsson war da, Delgado und Bo Örkenrud, der Chef der Spurensicherung, außerdem ihre Freundin Ann-Vivika Kimsel, die Gerichtsmedizinerin. In den dünnen Plastikhandschuhen waren Nyströms Hände taub vor Kälte. Aber da war noch eine andere Art von Benommenheit. Wenige Meter von ihr entfernt lag ein Toter ohne Gesicht. Ein toteralter Mann, dem man einen Finger abgeschnitten hatte. So etwas sollte nicht passieren, dachte sie, nicht hier, nicht im kleinen Småland. Sie musste an Gunnar Berg denken. Aber jetzt war es ihr Job, Entscheidungen zu treffen. Es gab Arbeit zu tun, Aufgaben zu verteilen. Dann soll es wohl so sein, dachte sie.
    3
    Forss stand nun schon einige Minuten vor dem leblosen Körper. Etwas war in diesem Tropenhaus, das sie irritierte, in der Hitze, etwas Bestimmtes, hier in der Schwüle, auch wenn sie nicht wusste, was es war. Etwas, das die Brutalität, mit der die Leiche des Mannes zugerichtet worden war, noch betonte. An einen Wespenschwarm hatte sie vorhin gedacht, als sie das aufgedunsene Gesicht gesehen hatte. Aber es war etwas anderes.
    Ihr Blick wanderte über Sträucher und Blumen.
    Die üppigen Beete.
    Das aufwendige Bewässerungssystem.
    Links standen ein paar längliche Kästen, die an Bienenstöcke erinnerten. Sie waren mit feinmaschigen Netzen bespannt oder mit Glasscheiben verschlossen und enthielten Raupen, Larven und ausgeschlüpfte Falter. Über ihnen baumelten waagerecht aufgehängte Stöcke und Zweige, an denen leere Kokons und Raupen in verschiedenen Stufen der Verpuppung hingen.
    Und da flatterte sogar einer. Ein Schmetterling, ein weißer.
    Auf dem Busch neben dem Bassin saß noch einer, ein roter Schmetterling mit einem schwarzen Punkt auf den Flügeln. Und einer auf der Scheibe. Und auf dem Rattanstuhl.
    Auf der Bananenstaude sah sie einen braunen Falter, der größer war als ihre Hand. Erst schlug er nur ein wenig mit den Flügeln, aber dann katapultierte er sich mit einem Schlag in die Luft, drehte ein, zwei waghalsige Kreise und setzte sich schließlich von unten auf einen Stahlträger der Dachkonstruktion. Forss betrachtete ihn noch ein wenig, wie

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