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Spiegelriss

Spiegelriss

Titel: Spiegelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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der Normalität«, mischt sich der Gestreifte von rechts ein.
    Ich sage nichts.
    Professor Melchior beugt sich vor.
    »Ich weiß nicht, ob Sie über die jüngsten Entwicklungen vor Ihrer fürchterlichen Hinrichtung auf dem Laufenden sind, Juliane. Aber die Normalität hatte zuletzt die Schrauben noch mehr angezogen. Alle Studenten ohne ID-Armband wurden von der Universität verwiesen. Und ich bekam Berufsverbot.«
    »Das wusste ich nicht«, sage ich. »Ich war… woanders.«
    »Ich hatte davon gehört«, sagt Professor Melchior und an seinem Tonfall erkenne ich sofort, von wem er das gehört haben muss. »Ich jedenfalls hatte meine Studenten zu mir eingeladen, um unsere Vorlesungen und Seminare in der Pheenfrage privat fortzusetzen. Denken Sie, ein einziger Student mit Armband hat mich jemals besucht? Hat sich für mein Schicksal interessiert?«
    In seinen Augen sehe ich den Hauch jener Empörung, die mich an den netten Professor von früher erinnert.
    »Das tut mir sehr leid«, sage ich. »Ich verstehe Ihre Abneigung gegen die Normalität sehr gut. Ich kann nur nicht behaupten, dass mir Ihre Vorgehensweise gefällt. Sie kommt mir… eben irgendwie sehr bekannt vor.«
    Er winkt ab. »Das ist doch alles nichtig im Vergleich zu anderen Schicksalen. Erlauben Sie mir, Ihnen weiter zu berichten. Es dauerte nicht lange und dann wurde auch mein kleiner privater Kreis verboten. Es war ihnen nicht zu grotesk, irgendwann die Polizei vor meine Tür zu postieren, um die erscheinenden Studenten zu verhaften, weil sie damit gegen ein schnell zusammengeschustertes Gesetz verstießen. Ich warnte die jungen Leute davor, mich aufzusuchen, aber fast alle sagten, dass sie sich von so etwas nicht einschüchtern lassen. Was danach kam, war allerdings schrecklich.« Er schluckt. »Ich habe die meisten von ihnen nicht wiedergesehen. Nur einige wenige habe ich später zu meiner großen Freude hier, bei uns, wiedergetroffen. Das hat mich unvorstellbar glücklich gemacht.«
    Ich nicke. Während wir reden, haben die drei anderen ihr Risotto aufgegessen. Der Klecks auf meinem Teller ist längst kalt geworden ist. Trotzdem will ich nicht, dass er abgeräumt wird, und löffele ihn rasch in meinen Mund.
    Ist Ivan auch irgendwo hier? Bin ich näher an ihm und Ksü, als ich die ganze Zeit gedacht habe? Ich muss Gelegenheit finden, mit dem Professor unter vier Augen zu sprechen.
    »Es gab ein kleines makabres Detail«, sagt er und wischt sich mit der bestickten Serviette den Mund ab. »Als die Nachricht von Ihrer Verhaftung über alle Medien ging, wurde mein Arbeitsverbot kurzzeitig aufgehoben.«
    Ich warte höflich ab, bis er fertig gesprochen hat. Meine Gedanken driften ab.
    »Können Sie sich vorstellen, welche Stelle mir da angeboten wurde?«, fragt der Professor.
    Ich schüttele den Kopf und hoffe sehr, dass er von diesem Thema schnell wieder wegkommt.
    »Ich sollte im Dementio als Pheenexperte den Befragungen beiwohnen«, sagt er triumphierend. »Ich mutmaße, auch als Pheenrechtler. Am Anfang war noch die Rede davon, dass Sie als Minderjährige besonderer Schonung bedurften, andererseits galten Sie als besonders gefährlich, Sie waren ja das Symbol schlechthin für die Gefahr, die von Pheen ausging.«
    »Ach, wirklich?«, sage ich, in der Tat überrascht. »Und warum haben Sie die Stelle nicht angenommen?«
    »Woher wissen Sie, dass ich nicht dabei war? Angeblich wurden Sie den Experten geblendet vorgeführt.«
    »Ich kann mir gut Stimmen merken.«
    »Ach ja.« Er nickt, als würde es ihm sofort einleuchten. »Nein, ich wollte mich an diesem Verbrechen nicht beteiligen. Ich habe abgelehnt.«
    »Dabei hätten Sie mir vielleicht helfen können«, sage ich. »So zu tun, als ob Sie kooperieren würden, und mir in Wirklichkeit zur Flucht verhelfen.« Und plötzlich denke ich: Vielleicht hatte Ivan genau das vor.
    »Ich muss gestehen, dass ich daran gedacht hatte«, sagt Professor Melchior. »Aber bedenken Sie bitte, was für einen verheerenden Einfluss das auf unser Bild in der Öffentlichkeit gehabt hätte. Stellen Sie sich das vor – der Pheenrechtler wird im Dementio engagiert und wenig später ist die junge Phee tot.«
    »Furchtbar«, sage ich sarkastisch.
    »Trotzdem dachte ich immer wieder darüber nach, denn so hätte ich ja wenigstens eine Möglichkeit gehabt, einen Blick auf Sie zu werfen und in der Tat etwas zur Verbesserung Ihrer Haftbedingungen beitragen zu können. Aber wissen Sie, es war bereits die Zeit, in der man sich auf gar

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