Spiegelschatten (German Edition)
Boden. Er wartete, bis der Schwindel in seinem Kopf sich gelegt hatte, dann stand er vorsichtig auf. Das Wohnzimmer drehte sich um ihn. Übelkeit ballte sich in seinem Magen zusammen. Stöhnend hielt er sich an der Tischkante fest.
Ihm war nicht klar, was er tun sollte. Er konnte schlecht auf gut Glück in die Innenstadt laufen, um Björn zu suchen. Wahrscheinlich würde er ohnehin nicht mal die halbe Strecke schaffen.
» Mist, verfluchter!«
Er atmete ein paar Mal tief ein und aus und ging langsam zur Tür.
» Björn?«, rief er, doch der Name kam so leise und kläglich aus seinem Mund, als hätte auch er an Kraft verloren. Er räusperte sich und versuchte es noch einmal. » Björn? Bist du da?«
Er hörte ein Geräusch, das sofort wieder erstarb.
Es kam von oben.
Stufe für Stufe schleppte er sich die Treppe hinauf und zog sich dabei mühsam am Geländer hoch. Sein Herz schlug heftig. Wie eine Maschine, die aus dem letzten Loch pfeift, dachte Maxim. Er keuchte, als hätte er einen Hundertmeterlauf hinter sich.
Oben blieb er stehen, um zu verschnaufen. Er war für einen Kampf schlecht gerüstet, und er hoffte inständig, dass die Katze das Geräusch verursacht hatte.
Warum war es jetzt so still?
Maxim horchte.
Er spürte, dass hinter einer dieser Türen jemand stand, der dasselbe tat.
Herrgott, er war so erschöpft. Durfte er seinen Empfindungen überhaupt trauen?
Und dann fühlte er den Hustenreiz.
Er hielt sich die Hand vor den Mund und versuchte, ihn zu unterdrücken, doch stattdessen wurde er immer stärker. Maxim hob den Saum seines Pullis hoch und presste ihn gegen den Mund, um den Husten wenigstens zu dämpfen.
Es half nicht viel.
Zu laut. Viel zu laut. Und es wollte und wollte nicht aufhören.
Plötzlich öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers. » Maxim! Mann, hast du mich erschreckt!« Im nächsten Auenblick war Björn an seiner Seite und stützte ihn.
» Und du mich erst«, krächzte Maxim. Seine Kehle brannte wie Feuer, seine Brust schmerzte, er konnte sich kaum auf den Beinen halten. » Ich hab den Zettel gefunden und dann hab ich ein Geräusch gehört…«
» Der Zettel!« Björn schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. » Ich habe Minette gefüttert und den Zettel darüber völlig vergessen. Entschuldige. Das war gedankenlos.«
Die ganze lange Treppe wieder hinunter, Schritt für Schritt, und alles drehte sich, als befänden sie sich auf einem riesigen Karussell, und Maxim lehnte sich an Björn und zählte bis zehn und hielt sich an den Zahlen fest– oder war es das Geländer? Und etwas in ihm lachte, und das Lachen verwandelte sich in einen Schrei und versickerte dann in einem kläglichen Summen, bis es still war, endlich still.
Als sie unten angekommen waren, schüttelte Maxim Björns Arm ab. Es war ihm wichtig, aus eigener Kraft zum Sofa zurückzufinden, und wenn es Jahre dauerte.
Aber natürlich dauerte es höchstens zwei Minuten, bis er wieder auf dem Sofa lag und Björn ihn zudeckte und ihm das Fieberthermometer reichte, die Zahl ablas, ein besorgtes Gesicht machte und dann lächelte und log: » Alles okay, Maxim. Ich presse dir jetzt eine Apfelsine aus, dann bringe ich dir eine Tablette und reibe dich mit Erkältungsbalsam ein. Und danach kannst du weiterschlafen, und wenn du das nächste Mal aufwachst, fühlst du dich schon viel besser, wetten?«
Maxim hätte dagegen gewettet, doch ihm fehlte die Kraft dazu.
Er musste schlafen, unbedingt.
Wenn der Mörder kam, wollte er gewappnet sein.
Weck mich, wenn irgendwas passiert, wollte er sagen. Versprich mir das, Björn! Aber er brachte nur die ersten beiden Worte über die Lippen, und die konnte man nicht verstehen, weil sie in einem Lallen untergingen, als sei er betrunken.
Der Schlaf stülpte sein schwärzestes Tuch über ihn und zog ihn tief nach unten, dorthin, wo nur noch das Fieber war mit seinen Träumen.
*
Hatte er wirklich geglaubt, sie los zu sein?
Hast du das? Denkst du tatsächlich, du kannst mir entkommen? Nach allem, was wir gemeinsam durchgemacht haben?
» Es gibt kein WIR . Nicht für mich.«
Ebenso gut hätte er sich mit dem Teufel verbünden können.
Guter Witz! Hast du immer noch nicht begriffen, dass wir beide Teil eines Ganzen sind?
» Du lügst. Ich habe Jahre meines Lebens ohne dich verbracht. Du kannst nicht Teil von mir sein.«
Sie ignorierte seine Worte und hörte nicht auf, ihn zu bedrängen, und allmählich spürte er, wie sein Widerstand erlahmte. Letztlich gewann sie immer.
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