Spiegelschatten (German Edition)
Dass er vor dieser Tatsache die Augen verschloss, änderte nichts daran.
Irgendwann musste er die Augen wieder aufmachen.
Braver Junge…
» Nenn mich nicht so!«
Immerzu machte sie ihn zum Kind. Stand hoch über ihm und zwang ihn, zu ihr aufzublicken.
Ich warte…
» Was du von mir verlangst, ist unmenschlich!«
Die Stimme antwortete nicht. Er spürte ihr Warten, und alles in ihm krampfte sich zusammen. Sie wollte ihn zum Äußersten treiben …
Auf einmal erkannte er den Plan, der ihren Befehlen zugrunde lag, und er vergaß vor Entsetzen das Atmen.
DAS hatte sie gewollt. Von Anfang an!
Dieser eine Tod sollte der Höhepunkt sein. Alle vorigen Tode hatten lediglich der Vorbereitung gedient.
Er ballte die Hände zu Fäusten.
Weitere Morde erwartete sie nicht von ihm.
Nur diesen einen noch. Nur ihn.
Danach würde sie absolut gar nichts mehr von ihm verlangen.
» Du willst mich vernichten«, flüsterte er.
Fassungslos.
Doch er war ihr keine Antwort wert. Wie den letzten Dreck behandelte sie ihn.
Schwieg.
Und wartete.
32
Schmuddelbuch, Donnerstag, 10. März, siebzehn Uhr fünfunddreißig, Diktafon
Anruf von Ingo. Die Polizei sucht jetzt definitiv nach einem schwarzhaarigen Mann.
» Wie hast du das rausgekriegt?«
» Beziehungen.«
In Gedanken bin ich Björns Freundeskreis durchgegangen.
» Denk bitte laut«, hat Ingo mich gebeten.
» Zu Björns Freundeskreis gehören sechs Schwarzhaarige. Zwei davon kommen nicht infrage, die waren zu den Tatzeiten gar nicht in der Gegend, wenn ich mich richtig erinnere, aber ich muss mich erst mit meinen Aufzeichnungen beschäftigen, um sicher zu sein.«
» Und dann gibt es noch einen Bekanntenkreis. Wie sieht es da aus?«
Ich geriet in Stress. Um mich herum rauschte der Feierabendverkehr, die Eindrücke aus den Gesprächen spukten mir noch im Kopf herum, und mein Gehirn hatte Wackelkontakt. Ein blauer Toyota nahm mir die Vorfahrt und zwang mich zu einer Vollbremsung. Der Fahrer hinter mir hupte verärgert.
» Vollidiot!«, fluchte ich und fuhr langsam wieder an.
» Romy?« Ingos Stimme klang besorgt.
» Das war knapp«, erklärte ich ihm. » Was hattest du gerade gefragt?«
» Vergiss es. Wir können später weiterreden.«
» Aber ich möchte dich noch was fragen«, sagte ich. » Was ist der nächste Schritt, nachdem die Polizei jetzt weiß, dass sie nach einem schwarzhaarigen Täter sucht?«
» Anscheinend gibt es keinen Hauptverdächtigen«, antwortete Ingo. » Also werden sie sich noch einmal gründlich mit denen beschäftigen, die ein Motiv hätten– und schwarzhaarig sind.«
» Und ihre DNA nehmen?«
» Wahrscheinlich.«
» Der Mörder muss einer aus Björns Freundeskreis sein, Ingo, auch wenn es mir das Herz zerreißt.«
» Wie kommst du darauf?«
» Intuition.«
» Bei jedem andern«, sagte Ingo nach kurzem Schweigen, » würde ich jetzt abwinken. Bei dir ist das anders. Dein Instinkt hat dich schon einmal auf die richtige Fährte geführt.«
» Und hätte mich beinahe umgebracht.«
» Wann kommst du nach Hause?«, wechselte Ingo das Thema. » Dann koch ich uns was Schönes. Gibt es etwas, das du überhaupt nicht magst?«
Nach Hause. Wie locker mir die Tränen neuerdings saßen.
Ich dachte an Cal, der auch manchmal für mich gekocht hatte.
Achtung! Verbotene Zone!
Nicht mehr an Cal denken, befahl ich mir. Es tat zu weh.
» Ich esse alles«, sagte ich und spürte Ingos Schmunzeln, als er das Gespräch beendete.
Björn fehlt mir. Ohne ihn bin ich wie amputiert, ist das nicht verrückt?
Wir hören nicht auf zu atmen, nur weil wir eine Weile voneinander getrennt sind.
Ich gebe Gas. Freue mich darauf, heute Abend nicht allein sein zu müssen. Freue mich auf Ingos Essen.
Und auf ihn selbst, was mich mehr erstaunt, als wenn plötzlich meine Eltern vor der Tür stünden, weil sie ganz unerwartet Sehnsucht nach ihren Kindern haben.
Bert hatte beschlossen, heute länger zu arbeiten. Da es ihn ohnehin nicht in seine Wohnung zog, konnte er ebenso gut noch einige Dinge erledigen, die in der Hektik des Alltags liegen geblieben waren.
Er rekapitulierte in Gedanken die Gespräche in der Redaktion des KölnJournals und machte sich ein paar Notizen.
Sie hatten sämtliche Mitarbeiter angetroffen, bis auf Romy Berner, die angerufen und ihren Chef darum gebeten hatte, ihre Recherchen abschließen zu dürfen und nicht an der Redaktionskonferenz teilnehmen zu müssen.
Recherchen, dachte Bert beunruhigt.
Wahrscheinlich brachten ihr Ehrgeiz und
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