Spiegelschatten (German Edition)
Professor rührt.«
Ich habe so sehr versucht, sie zu verbergen, und dann ertappt Greg mich nach einem einzigen Blick auf den Text.
» Oder ist es das Thema, das dich so berührt?«
» Vielleicht…«
Greg spürt, ob man reden möchte oder nicht. Er schaltet dann locker den Rückwärtsgang ein und zieht sich zurück.
» Noch ein bisschen Kleinarbeit, aber im großen Ganzen kannst du es so lassen.«
Damit hat er sich wieder seinem PC zugewandt und ich durfte gehen.Andere haben oft weniger Glück. Greg kann sich wie ein Pit Bull in etwas verbeißen. Es ist ziemlich schwer, ihn zufriedenzustellen.
Als Volontärin genieße ich noch Welpenschutz. Obwohl manche Kollegen hinter meinem Rücken behaupten, es sei mehr als das. Greg sei in mich vernarrt. Er sehe in mir die Tochter, die er nicht habe, und erlaube mir deshalb auch, ihm wie eine verzogene Göre auf der Nase herumzutanzen…
Ich lasse sie reden. Sobald man Gerüchten die geringste Nahrung gibt, schießen sie ins Kraut.
Calypso wurden die Augen schwer. Dennoch brachte er es nicht fertig, das Buch zuzuklappen. Er verschlang Künstlerbiografien, wie er früher Comics verschlungen hatte.
Etliche Maler, Schriftsteller und Schauspieler hatten schier unbezwingbar erscheinende Hindernisse überwunden, bis sich endlich der Erfolg eingestellt hatte. Manch einer hatte ihn dann nicht verkraftet, Zuflucht zu Alkohol und Drogen gesucht und war abgestürzt. Andere hatten über der Darstellung großer Gefühle die eigenen verloren. Und nicht wenige waren am Ende ihres Lebens einsam und allein gewesen.
Calypso wusste nicht, wie seine Zukunft sein würde. Er wollte es auch nicht wissen. Er wollte es ebenso wenig wissen, wie er wissen wollte, welche Art von Tod ihn erwartete.
Er wollte einfach leben.
Leben, dachte er und atmete tief ein und aus.
Romy saß jetzt schon über eine Stunde an ihrem Tagebuch, das sie Schmuddelbuch nannte, weil es unzensiert alles enthiel t, wa s ihr durch den Kopf ging. Und alles, was ihr in die Finger fiel.
Gedanken. Erlebnisberichte. Vorarbeiten zu Artikeln. Fotos. Zeitungsausschnitte. Romy war eine Sammlerin. Und aus dem Gesammelten schuf sie kleine Kunstwerke aus Worten. Sie würde eine prima Journalistin werden.
Wenn sie durchhielt. Denn in Romy steckte auch ein bisschen von dem, was ihre Eltern durch die Welt trieb. Abenteuerlust. Die Angst, im Sumpf des Alltags stecken zu bleiben. Neugier. Unruhe.
Romy war süchtig nach Geschichten. Sie fand sie überall. An jeder Supermarktkasse geriet sie in ein Gespräch mit irgendwem, auf der Straße wurde sie ständig angequatscht. Etwas an ihr erregte die Aufmerksamkeit der Leute. Vielleicht ihre nie erlahmende Bereitschaft zuzuhören.
Jetzt stand sie auf und ging in die Küche. Calypso hörte, wie sie den Wasserkocher füllte.
» Machst du mir auch einen Tee?«, rief er.
» Welche Sorte?«
» Egal.«
Calypso liebte die Nacht. Er mochte es, wenn sich jemand in der Wohnung bewegte, während er las, Texte lernte oder leise Musik hörte, spärliches Licht im Zimmer und vor den Fenstern die Dunkelheit.
Er war froh, dass er sich für das Leben in einer Wohngemeinschaft entschieden hatte. Seine Mitbewohnerinnen waren ebensolche Nachteulen wie er. Tonja, die Deutsch und Englisch studierte, stand morgens grundsätzlich nicht vor neun Uhr auf, genau wie Helen, die als Verkäuferin in einem Esoterikladen arbeitete, der erst um zehn öffnete.
Behaglich seufzend vertiefte er sich wieder in das kurze, wilde Leben von James Dean. Wenig später stellte Romy einen Becher Tee auf den kleinen Holztisch neben dem Bett, der unter Büchern und Zeitungen begraben war. Dazu musste sie erst Platz schaffen, indem sie die Stapel ein Stück auseinanderschob. Sie gab Calypso einen Kuss auf die Wange und verschwand wieder in der Küche, wo sie am liebsten saß, wenn sie in ihr Schmuddelbuch schrieb.
Calypso und Romy verbrachten nicht jede Nacht miteinander, aber wenn, dann taten sie es meistens abwechselnd in Calypsos WG im zweiten Stock oder hier in Romys kleiner Dachgeschosswohnung. Es war ein Glück, dass sie im selben Haus wohnten. Es war ein Glück, dass es ein Haus voller netter Leute war. Und es war ein Glück, dass er Romy überhaupt gefunden hatte.
Glück.
Calypso nahm einen vorsichtigen Schluck von dem noch sehr heißen Tee. Er konnte es spüren, dieses Glück, doch er hätte es nicht beschreiben können. Es war ein Gefühl unter der Haut, ein Gefühl, in das sich ein eigenartiges schmerzliches Sehnen
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