Spiegelschatten (German Edition)
Ein Journalist muss zugreifen, wenn er auf eine Sensation stößt.
War das wirklich so? Durfte sie Björns Privatsphäre nicht schützen, wenn sie damit ihrer Story im Weg stand?
Sie ersehnte das Ende der Feier, denn sie wollte unbedingt an ihren Schreibtisch zurück. Auch sie würde ihren Teil zum Abschied von Leonard und Sammy beitragen.
Indem sie darüber einen Artikel schrieb.
Sie konnte es nicht erwarten, damit anzufangen.
*
Bert und Rick verbrachten den Vormittag am Telefon und am Computer. Rick war ganz froh darüber, mit seiner Erkältung nicht draußen herumlaufen zu müssen. Schniefend war er in seinem Büro verschwunden, um sich mit der Schwulenszene in Köln und Bonn zu befassen, während Bert Serienmorde recherchierte, die an Homosexuellen begangen worden waren.
Herbert Richard Baumeister, dem Gründer einer amerikanischen Supermarktkette, wurden siebzehn Morde an homosexuellen Männern zur Last gelegt, begangen zwischen 1980 und 1990. Alle Opfer wurden kurz vor ihrem Verschwinden in Schwulen-lokalen gesehen. Seine eigenen homosexuellen Neigungen hatte der Täter bis zu seinem Selbstmord geheim gehalten.
Siebzehn Morde an homosexuellen Männern und einer an einer Prostituierten wurden zwischen 1980 und 2002 in Frankreich begangen. Die Polizei verhaftete einen Transvestiten, der als Drag Queen in französischen und deutschen Bars aufgetreten war. Aus Mangel an Beweisen wurde die Anklage jedoch fallen gelassen.
Jeffrey Lionel Dahmer, das Milwaukee Monster, tötete zwischen 1978 und 1991 siebzehn Männer und Jungen, die er in Schwulenbars, Saunen und im Strichermilieu traf.
Larry Eyler, der Interstate Killer, brachte in Indiana und Illinois zwischen 1983 und 1984, also in nur einem Jahr, dreiundzwanzig Männer um, überwiegend Homosexuelle.
Bert stand auf und öffnete das Fenster. Er beugte sich hinaus und atmete tief ein und aus, um die Übelkeit loszuwerden, die ihm im Magen lag. Die Einzelheiten der Taten hatten sich, wie er wusste, tief in sein Gedächtnis eingegraben. Er würde sie so leicht nicht wieder vergessen können.
Er musste an Fritz Haarmann denken, einen der spektakulärsten und grauenvollsten Serienmörder des zwanzigsten Jahrhunderts, der vierundzwanzig junge Männer ermordete, nachdem er zuvor Sex mit ihnen gehabt hatte. Der homosexuelleTäter, der seine Opfer als Puppenjungs zu bezeichnen pflegte, tötete die meisten seiner Opfer mit einem Biss in den Hals. Deshalb nannte man ihn den Werwolf oder Vampir von Hannover.
Bert konnte gar nicht genug kriegen von der frischen Luft. Er hatte das Gefühl, gleich ersticken zu müssen. Keine weitere Zeile würde er mehr lesen können, keinen weiteren Namen. Vorerst.
Erniedrigung. Folter. Unaussprechliche Qualen.
Dann erst der Tod.
Die Erlösung.
Es hatte leicht zu regnen begonnen. Wind war aufgekommen und trieb Bert die dünnen Tropfen ins Gesicht. Sie fühlten sich an wie kalte Tränen.
Als er sich einigermaßen beruhigt hatte und zu frösteln begann, schloss er das Fenster wieder. Er überlegte gerade, ob er zu Rick hinübergehen sollte, als die Tür aufging.
» Störe ich?«, fragte Rick.
» Im Gegenteil. Komm rein.«
» Du zuerst«, fragte Rick, während er sich auf einen der Stühle vor Berts Schreibtisch fallen ließ, » oder ich?«
» Du.«
Rick schob ihm einen Computerausdruck mit Adressen hin.
» Schwulenbars«, erklärte er, » einschlägige Cafés, Kinos und Kabaretts. Lauter Orte, an denen Homosexuelle unkompliziert Kontakte knüpfen können. Auch die Parkplatzszene dürfte interessant sein. Schneller, anonymer Sex, perfekte Fluchtmöglichkeit, alles, was ein Serientäter braucht, um halbwegs sicher seine Taten durchzuziehen.«
» Der Täter in unseren beiden Fällen scheint aber nicht auf anonyme Kontakte aus zu sein«, wandte Bert ein. » Wir waren uns einig, dass seine Opfer ihn gekannt haben müssen.«
» Stimmt. Trotzdem sollten wir die gesamte Szene im Auge behalten. Du weißt, dass Köln als Schwulenhochburg gilt?«
Bert nickte. Er überflog die Liste. Sie abzuarbeiten, würde sie mindestens einen Tag und einen Abend kosten.
» Und weißt du auch, warum?«, fragte Rick.
» Weil Kölner ausgesprochen tolerant sind.«
» Und ich dachte, ich könnte dir etwas Neues erzählen.«
» Neulich habe ich zufällig einen Artikel darüber gelesen. Ist das nicht unheimlich? Bald glaube ich an Vorzeichen.«
» Das hier ist auch interessant«, sagte Rick und reichte ihm einen zweiten Ausdruck.
Berts Blick fiel
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