Spiegelschatten (German Edition)
Situation nichts Eindrücklicheres als Schweigen. Wir besorgen Teelichter, und jeder kann sich eins nehmen, es anzünden und aufstellen.«
» Sehr gut«, sagte Josch.
» Was hältst du von einem anschließenden Schweigemarsch? Mit zwei Transparenten, auf denen nur Leonards und Sammys Namen stehen. Und jeder Teilnehmer trägt eine Blume und legt sie am Ende auf der Rathaustreppe ab.«
» Das wird die Leute umhauen, Björn.«
Sie besprachen sich noch eine Weile, dann legte Björn das Handy beiseite, verschränkte die Hände unterm Kopf und schloss die Augen. Er würde den Nachmittag damit verbringen, Leute anzurufen, die dann wiederum Leute anrufen würden, die dann ihrerseits… Am besten, er fing gleich damit an.
12
Schmuddelbuch, Freitag, 4. März, zehn Uhr dreißig
Greg hat mir sein Okay für einen Artikel über die Abschiedsfeier für Leonard und Sammy gegeben. Habe mit Björn telefoniert, der mich über die Einzelheiten aufgeklärt hat. Dann habe ich Ingo angerufen, der aber schwer gestresst getan hat und nicht bereit war , auch nur ansatzweise eine Information mit mir zu teilen. Kaum war ich damit fertig, ging die Tür auf und Helen betrat die Redaktion.
Es war, als wär die Sonne aufgegangen. Mit ihren bunten, fröhlichen Klamotten wirkte sie wie eine Blume auf einem Feld grauer Disteln. Alle drehten sich nach ihr um und Helen winkte freundlich hierhin und dorthin. Dabei war sie noch nie hier und kennt keinen meiner Kollegen.
» Hast du Zeit für einen Kaffee?«, fragte sie.
Automatisch schaute ich zur Kaffeemaschine.
» Nicht hier«, sagte Helen leise. » Lass uns in ein Café abhauen. Und dann erzählst du mir, wie es dir geht.«
Da ich ohnehin vorhatte, noch zu recherchieren, war ich einverstanden. Wir entschieden uns für das Alibi, denn inzwischen hatte es angefangen zu regnen, schwere, mit Schnee vermischte Tropfen, die sich auf der Straße augenblicklich zu wässrigem Matsch ansammelten. Wir hatten keine Lust, bei diesem Wetter lange durch die Gegend zu laufen.
» Cal geht’s gar nicht gut«, sagte Helen, nachdem wir im Alibi angekommen waren. Sie legte ihre nasse Jacke über eine Stuhllehne, setzte sich hin und zog sich die neongrünen Wollstulpen über die rotgefrorenen Finger. » Er ist heute nicht ins Orson gefahren.«
Dann musste er wirklich fertig sein. Freiwillig versäumte er nicht eine einzige Stunde.
» So ist das, wenn man zwei Frauen liebt«, sagte ich säuerlich.
» Aber so was kommt vor.« Helen klappte die Speisekarte auf und vertiefte sich in die Lektüre. Dabei sprach sie übergangslos weiter. » Wie soll man sich dagegen wehren? Ist es nicht sehr aufrichtig von Cal, dich nicht zu hintergehen, sondern dir offen und ehrlich zu sagen, wie er empfindet?«
» So offen und ehrlich war das gar nicht, Helen. Er hat es erst zugegeben, nachdem ich es schon wusste.«
» Er hätte es leugnen können.« Sie blätterte die Seite um. » Doch das hat er nicht getan.«
Die neue Kellnerin trat an unseren Tisch und Helen bestellte sich eine heiße Chili-Schokolade. Ich entschied mich für eine mit Ingwer.
» Ich dachte, du wolltest wissen, wie es mir geht«, sagte ich.
» Schlecht. Das kann ich sehen.«
» Tausend Dank für dein Verständnis!«
Helen legte ihre Hand auf meine. Die Farben unserer Stulpen bissen sich. Ich guckte direkt in Helens Lächeln und fühlte mich schon ein bisschen getröstet.
» Ich möchte euch nicht verlieren«, sagte Helen. » Keinen von euch beiden.«
Mit der Fingerspitze wischte sie die beiden Tränen weg, die mir über die Wangen rollten, dann strich sie mir zärtlich über den Arm.
» Redet miteinander«, sagte sie. » Bitte, Romy.«
» Haben wir getan, aber es hat uns nicht weitergeholfen.«
Die Kellnerin brachte die Getränke. Wir schlürften den heißen Kakao und sahen uns über den Rand der Becher hinweg an. Helen war Cals Mitbewohnerin. Sie war ursprünglich seine Freundin gewesen, nicht meine.
» Sag mir, dass sich zwischen uns beiden nichts ändern wird, egal, was mit Cal und mir geschieht«, bat ich leise.
» Zwischen uns wird sich nichts ändern, Romy. Niemals. Das verspreche ich dir.«
Es fiel uns schwer, das Thema zu wechseln. Ich lud sie zu der Trauerfeier für Leonard und Sammy ein. Sie wollte es sich überlegen. Dann sah sie auf die Uhr und brach auf. Ich blieb noch eine Weile sitzen, um in mein Schmuddelbuch zu schreiben.
Gleich werde ich mich wieder in das miese Wetter hinauswagen. Es passt zu meiner Stimmung. Es passt zu
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