Spiegelschatten (German Edition)
allem. Sonnenschein würde ich jetzt gar nicht ertragen.
Maxim stellte die Tragetasche mit den Büchern auf dem einen Stuhl ab und setzte sich auf den andern. Obwohl er nicht rauchte, hatte er sich für einen Platz draußen entschieden, nah an einem Heizstrahler. Es gab Tage, an denen er geschlossene Räume mied. Da brauchte er Luft und Licht, um klar denken zu können.
Er hatte ein langes Telefonat mit Griet hinter sich, das ihn ziemlich mitgenommen hatte.
» Warum bringst du dich in Gefahr?«, hatte sie ihn gefragt.
» Weil ich Björn liebe«, hatte er geantwortet und selbst die Kälte in seinen Worten gehört.
Auch Griet war sie nicht entgangen. Ihre Stimme hatte gebebt. Sie war voller Trauer gewesen und voller Angst.
» Und mich liebst du nicht?«
Es war nicht ihre Art, ihm so plumpe Fragen zu stellen. Sie neigte nicht zur Eifersucht. War sich seiner immer so sicher gewesen, wie sie es sein konnte bei einem Mann, der gleichzeitig mit einem anderen Mann zusammen war. Zumindest hatte sie sich ihm gegenüber so gegeben. Es enttäuschte ihn, dass sie sich nun so anders verhielt.
Wo war das Mädchen geblieben, das ihn und den Rest der Welt mit ihrem Lachen verzauberte, ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Lebensfreude? Die so sinnlich war, so schön und so hemmungslos?
Es war ihr leichtgefallen, ihn um den Finger zu wickeln. Wahrscheinlich hätte er sich vollends an sie verloren, wenn Leonard und Sammy nicht ermordet worden wären.
Liebe, dachte Maxim.
» Mich liebst du nicht? Antworte mir, Maxim! Bitte!«
Sie tat, was sie niemals hätte tun dürfen. Bedrängte ihn. Versuchte, ihm Fesseln anzulegen.
» Griet…«
» Liebst du mich, Maxim?«
Wollte sie nicht verstehen? Warum lief sie in die falscheste aller Richtungen? Kannte sie ihn so wenig?
Es machte ihn wütend, dass sie auf einer Antwort beharrte. Dass sie nicht hinhörte, seine unausgesprochene Warnung nicht wahrnahm.
Außerdem hasste er flennende Frauen.
» Griet…«
» Und wenn dir was zustößt? Wenn dieser Killer… oh, mein Gott…«
Ohne Björn kann ich nicht sein, dachte Maxim verwundert. Ohne ihn wär ich nicht mehr ganz, denn er ist ein Teil von mir.
Er hörte Griet leise schluchzen, während sich ein Gedanke nach dem andern in seinem Gehirn bildete.
Ich brauche Björn.
Kann nicht ohne ihn sein.
Ich darf ihn nicht verlieren.
Von ganz tief innen stieg ein Lächeln in ihm auf. Und was, wenn Leonard und Sammy dafür gestorben waren? Dass er endlich erkannte, zu wem er gehörte?
» Das Schlimmste, was mir zustoßen könnte«, sagte er langsam und voller Grausamkeit, » wäre es, Björn zu verlieren.«
» Du liebst ihn«, flüsterte Griet. » Mehr als mich.«
Sie hatte recht. Und wenn er ehrlich war, überraschte es ihn nicht. Es wunderte ihn eher, dass ihm das nicht früher klar geworden war.
» Es tut mir leid«, sagte er.
» Steck dir dein Mitleid sonst wohin!«, schrie sie ihn an. » Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Stürmst in mein Leben, krempelst es um, zwingst mich zu einer Beziehung zu dritt, weil du dich von deinem Björn nicht lösen kannst, schwankst wie ein Schilfrohr im Wind, bist eigentlich schwul und dann wieder nicht, liebst eigentlich Björn und dann wieder mich, bist schuld daran, dass ich vor lauter Elend kaum noch essen und schlafen kann, verschwindest in dieses Provinznest, lässt tagelang nichts von dir hören, beschließt,nicht nach Berlin zurückzukehren, obwohl ein Durchgeknallter da unten Amok läuft, und erzählst mir dann, es tut dir leid?«
Maxim hörte, wie sie Luft holte, um zum letzten Schlag auszuholen.
» Weißt du was, Maxim?« Ihre Stimme klang jetzt ruhig und beherrscht und triefte vor Verachtung. » Ich pfeif auf dich. Kriech doch zurück in deinen Sumpf und werde glücklich mit deinem Liebsten– falls der Mörder euch lässt.«
Dann hatte sie das Gespräch abgeschnitten.
Ich bin nicht fair zu ihr, dachte Maxim, als er an dem Cappuccino nippte, den der Kellner vor ihm abgestellt hatte. Sie hat das nicht verdient.
Es war bestimmt nicht leicht für Griet gewesen, ihn mit einem Mann zu teilen, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte, außer der Tatsache, dass sie eine Frau war.
Daraus allerdings hatte sie alle Trümpfe gezogen. Sie hatte ihn umgarnt und verwöhnt. Jeden Tag hatte sie ihm ein kleines Geschenk aufs Kopfkissen gelegt, ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen.
Sie hatte sogar angefangen, Gedichte zu schreiben.
Ihm wurde wehmütig ums Herz, und er verspürte das
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