Spiegelschatten (German Edition)
Sonnenschein war es hier schummrig. Die Holzstufen knarrten, und die Schatten, die sich in den Winkeln breitgemacht hatten, schienen erwartungsvoll die Luft anzuhalten.
Tobias beeilte sich, die Treppe hinunterzukommen. Das Haus war nicht gut für sein Gemüt. Kein Wunder, dass Frau Schlomag zwischen diesen Mauern ihren Lebenswillen nicht wiederfand.
Er merkte, dass ihm die Kehle eng wurde.
Eine Panikattacke.
Das hatte ihm noch gefehlt.
Raus hier, dachte er. Doch dann musste er für einen Moment stehen bleiben, weil sein erschrockenes Herz so wild hämmerte, dass er es überall im Körper spüren konnte.
Er sah Mr Spock vor sich und hörte seine Stimme: » Ruhig und gleichmäßig atmen, Tobias. Löschen Sie alle belastenden Gedanken aus und reden Sie mit Ihrem Herzen. Geben Sie ihm den Rhythmus vor, der gut für Sie ist. Ein. Aus. Ein. Aus. Ja. So ist es gut.«
Seine Stirn war mit kaltem Schweiß bedeckt. Seine Hände flatterten. Aber er wollte keine Minute länger in diesem beklemmenden Haus bleiben.
Mühsam setzte er einen Fuß vor den andern. Dabei klammerte er sich am Geländer fest.
Sein Herz hörte nicht auf ihn, diesmal nicht. Es schickte einen Schmerz durch seinen Körper, der ihn leise aufstöhnen ließ.
Und dann stolperten seine Füße über etwas, das auf einer der Stufen lag.
Völlig überrumpelt ließen seine Hände das Geländer los, und Tobias fiel, stürzte die restlichen Stufen hinunter und blieb schwer atmend auf dem Absatz der ersten Etage liegen.
Erst nach einer Weile wagte er es, sich zu bewegen. Benommen setzte er sich auf, streckte vorsichtig Arme und Beine, um zu sehen, ob er sich was gebrochen hatte.
Nein. Alles okay.
Bis auf sein Herz, das nun vollends verrücktspielte.
Er wollte sich gerade aufrappeln, als er ein Geräusch hinter sich hörte.
» Entschuldigung«, sagte er, und drehte sich um.
Es war zu dunkel, um das Gesicht der schwarzen Gestalt zu erkennen. Doch es war hell genug, um in einer raschen Eingebung die Bedrohung zu erahnen. Und dann hob die Gestalt auch schon den Arm.
Sein Herzschlag verlangsamte sich mit dem Schmerz, der seinen Kopf ausfüllte. Etwas lief warm an seinem Hals hinab.
Tobias atmete seufzend aus.
Sein Herz hörte auf zu schlagen.
*
» Wir sind schon auf dem Weg.«
Bert trank den letzten Schluck Kaffee und verstaute das Handy in der Tasche seines Sakkos. Rick wischte sich den Mund mit seiner Serviette. Er schaute Bert fragend an.
» Beethovenstraße. Ein junger Mitarbeiter von den Maltesern«, informierte Bert ihn knapp. » Offenbar erschlagen. Scheint eben erst passiert zu sein.«
Rick zog die Augenbrauen hoch, und Bert wusste, er dachte dasselbe wie er.
Der dritte Mord.
Derselbe Täter.
Garantiert.
Sie waren für eine leichte Mahlzeit in die Köln Arcaden gegangen. Das taten sie manchmal, um Abstand zu gewinnen und das loszuwerden, was Rick auf seine flapsige Art den Stallgeruch nannte. Auch Bert verließ über Mittag gern das Polizeipräsidium. Schon ein paar Schritte durch die kalte Luft lenkten von der Arbeit ab und taten dem Kopf gut.
Eilig verließen sie das Einkaufszentrum, und Bert, dem der Alltagsstress immer mehr zusetzte, spürte seinen Magen. Bislang hatte er es vermieden, deswegen seinen Arzt und Freund Nathan aufzusuchen. Irgendwie hoffte er, seine Magenprobleme würden von allein verschwinden, wenn er sie einfach ignorierte.
Nathan würde bloß wieder eine Untersuchung nach der andern anstellen, ihm womöglich eine Diät verordnen und ihm unausgesprochene Vorwürfe machen, weil sie so lange nicht mehr zusammen Tennis gespielt hatten.
Sie fanden einen eben frei gewordenen Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Hauses in der Beethovenstraße, was um die Mittagszeit ein kleines Wunder war. Die Fahrzeuge von Polizei und Notarzt standen bereits in zweiter Reihe, ebenso ein weißer Fiesta mit der Aufschrift Malteser Hilfsdienst.
Eine Allee kahler Bäume teilte die Straße in der Mitte. Auf dem ungepflasterten Streifen Erde dazwischen drängten sich Schaulustige, von denen einige Aufnahmen mit ihrem Handy schossen. Ein Kollege von der Schutzpolizei stand vorm Eingang des Hauses, um dafür zu sorgen, dass kein Unbefugter in die Ermittlungen trampelte, eine Kollegin sprach mit dem Fahrer des Fiesta.
Das Haus war rot verklinkert. Vor den Fenstertüren befanden sich kleine, schmale Austritte, die mit schwarzen Eisengeländern gesichert waren. Das alles wirkte im trüben Licht dieses Tages unterschwellig bedrohlich, selbst ohne
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