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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Kontakt, die auf seine Hilfe angewiesen waren. Und sie bettete ihn in eine Gruppe von Kollegen ein, in der er sich aufgehoben fühlte, weil sich hier alle, aus welchen Gründen auch immer, für dasselbe entschieden hatten.
    Sein Gerüst.
    Aufstehen. Duschen. Anziehen. Frühstücken.
    Er fuhr meistens über die Aachener Straße, auch wenn sie chronisch verstopft war, denn er hasste Umwege. Nur wenn er das Fahrrad nahm, mied er die Aachener mit ihrem Verkehrschaos und ihren Abgasen.
    War er erst einmal am Ziel angekommen, dachten und entschieden andere für ihn. Dann tat er seine Arbeit bis zum Feierabend, fuhr in die Lütticher Straße zurück, suchte sich einen Parkplatz und betrat erleichtert wieder sein Zimmer.
    Er erfüllte die Vereinbarungen mit Mr Spock, schluckte seine Pillen, hielt Ordnung, achtete darauf, dass seine Kleidung sauber war. Und an jedem Wochenende besuchte er seine Familie. Auch wenn die Nachwirkungen dieser Besuche oft eine zusätzliche Sitzung mit Mr Spock erforderlich machten.
    Sein Vater wollte sich nicht damit abfinden, einen schwulen Sohn zu haben.
    Dazu haben wir dich nicht erzogen.
    Seine Mutter hielt sich zurück. Sie verurteilte Tobias nicht, sprach ihn aber auch nie auf das Thema an. Sie war eine schöne Frau, doch das Leben mit ihrem Mann hatte ihr schon jetzt, mit Anfang vierzig, zwei tiefe Falten zwischen Nasenflügel und Mundwinkel gegraben.
    Von seinem älteren Bruder hatte Tobias kein Verständnis erwartet. Der lief muskelbepackt und testosterongesteuert durchs Leben, immer auf der Suche nach neuen Mädchen, die sich ihm auch noch bereitwillig an den Hals warfen. Seit Tobias sich geoutet hatte, kam sein Bruder ihm nicht näher, als unbedingt nötig. Wenn sie sich mal umarmten, weil es sich nicht vermeiden ließ, klopfte er ihm wie ein Cowboy hölzern auf den Rücken.
    Ein Mann ist ein Mann ist ein Mann…
    Tobias drückte auf den Klingelknopf, stieß beim Ertönen des Türsummers die schwere Haustür auf und lief die rotbraun lackierte Holztreppe hoch bis in den dritten Stock. Dort machte ihm Frau Schlomag auf, eine an MS erkrankte Frau um die Fünfzig, die nach einem schweren Schub im Rollstuhl saß und mehr schlecht als recht noch allein zurechtkam. Wie immer, hatte sie bereits in der kleinen Diele auf ihn gewartet.
    » Soll ich Ihnen das Fleisch schneiden?«, fragte Tobias, als er in der Küche den Aludeckel von der Schale löste und das Essen auf den kleinen Tisch stellte.
    Frau Schlomag nickte und sah ihm schlecht gelaunt zu. Ihre Finger hatten mehr als die Hälfte ihrer Kraft verloren.
    » Hoffentlich ist es nicht wieder kalt.«
    Sie sprach seit dem letzten Schub ein wenig verwaschen, was sich verstärkte, wenn sie nicht gut drauf war. Dann musste Tobias sich anstrengen, um sie zu verstehen.
    » Bestimmt nicht. Es dampft sogar noch, gucken Sie mal. Wir sind gerast wie die Henker.«
    Manchmal gelang es ihm, sie zum Lachen zu bringen. Heute schmunzelte sie nicht einmal.
    Sie hatte sich immer geschworen, nie im Rollstuhl zu landen, und sie verzieh sich nicht, dass es schließlich unvermeidlich gewesen war.
    Der letzte Schub hatte sie in ein finsteres Loch gestoßen. Ihre Stimmung schwankte zwischen Zorn, Mutlosigkeit und Trauer. Außer den Leuten vom Pflegedienst, die morgens und abends kamen, um ihr bei der Körperpflege zu helfen, sah sie kaum jemand anderen als Tobias. Deshalb ließ sie fast jede Regung ungebremst an ihm aus.
    Er akzeptierte das, weil er sich viel zu gut vorstellen konnte, wie sie sich fühlen musste.
    » Sie wissen doch, dass ich Joghurt nicht mag«, sagte sie und schob den Joghurtbecher verärgert beiseite.
    » Klar weiß ich das.«
    Mit vollendetem Schwung stellte Tobias einen zweiten Becher vor sie hin und beobachtete grinsend ihr Gesicht.
    » Mousse au Chocolat? Das ist mein Lieblings…«
    Sie blickte zu ihm auf und ein kleines Lächeln setzte sich in ihren Mundwinkeln fest. Als es ihre Augen erreicht hatte, drückte sie seine Hand.
    » Das ist eine teure Marke. Das ist niemals ein Nachtisch von… das haben doch Sie…«
    Tobias machte sich behutsam los und war schon bei der Tür.
    » Lassen Sie es sich schmecken!«
    Auf dem Weg nach unten wurde ihm leichter ums Herz. Er mochte diese Frau. Sie war ihm verwandt, auch wenn sie es nicht wusste. Vielleicht würde er sie weiterhin besuchen, wenn er mit dem Freiwilligendienst fertig war.
    Falls sie es wollte.
    Das Treppenhaus war düster und alt und trauerte besseren Zeiten nach. Sogar bei strahlendem

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